Schwarzer Mittwoch
verstanden habe«, entgegnete Jilly Freeman, »dann hat dieser Patient, Seamus Dunne …«
»Sie haben doch gesagt, der Mann habe nur so getan, als wäre er ein Patient.«
»Ja, im Rahmen dieses Forschungsprojekts sollte er die Symptome an den Tag legen, die als klare, wissenschaftlich anerkannte Kennzeichen eines gewalttätigen Psychopathen gelten.«
»Die da wären?«, wollte Frieda wissen.
»Ähm …« Frieda hörte die Frau irgendwelche Seiten umblättern. »Ach ja, hier haben wir es ja: Jeder der angeblichen Patienten sollte gestehen, als Kind Tiere gequält zu haben, und dann behaupten, er habe mittlerweile lebhafte Gewaltfantasien in Bezug auf Frauen und befürchte, er könnte sie womöglich in die Tat umsetzen. Hat Seamus Dunne davon gesprochen?«
»Was meine Patienten in ihren Sitzungen sagen, fällt unter meine Schweigepflicht.«
»Aber er war doch gar kein echter Patient. Außerdem hat er selbst ganz offen darüber geredet. Er hat mir ein Interview gegeben.«
»Im Rahmen des Forschungsprojekts?«
Frieda ließ sich auf einen Stuhl sinken. Sie fühlte sich plötzlich derart erschöpft, dass sie fast schon damit rechnete, mitten im nächsten Satz einzuschlafen. Es war, als hätte sie die Tür abgeschlossen und alle Fenster verriegelt und trotzdem einen Spalt übersehen, durch den diese Leute zu ihr ins Haus gedrungen waren.
»Wir würden für unseren Bericht über die Studie gern wissen, ob Sie eventuelle Bedenken an die Behörden weitergegeben haben.«
Plötzlich klingelte es an der Tür.
»Moment«, sagte Frieda, »ich muss jemanden hereinlassen.«
Sie öffnete die Tür. Draußen stand Reuben.
»Frieda, ich musste einfach …«, begann er, doch sie brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen und winkte ihn herein. Ihr fiel auf, wie aufgelöst und durcheinander er wirkte. Ohne ein weiteres Wort schob er sich an ihr vorbei und verschwand in der Küche.
»Was haben Sie gerade gesagt?«, nahm Frieda ihr Telefongespräch wieder auf.
»Ich wollte von Ihnen wissen, ob Sie sich mit irgendwelchen Bedenken an die Behörden gewandt haben.«
Ein klickendes Geräusch, das aus der Küche kam, lenkte Frieda ab. Reuben tauchte mit einer Dose Bier wieder auf.
»Nein«, antwortete Frieda, »das habe ich nicht.«
Reuben formte irgendwelche lautlosen Worte und nahm dann einen großen Schluck von seinem Dosenbier.
»Unseren Informationen zufolge«, fuhr Jilly Freeman fort, »war es das Ziel dieses Experiments, eine Reihe von Therapeuten mit einem Patienten zu konfrontieren, der eine klar erkennbare, akute Gefahr für die Gesellschaft darstellte. Der Patient war ein Psychopath, und es war Ihre Pflicht – im Grunde sogar Ihre gesetzliche Pflicht –, ihn der Polizei zu melden. Könnten wir dazu einen Kommentar von Ihnen haben?«
»Aber er war doch gar kein Psychopath«, entgegnete Frieda.
»Ist sie das?«, mischte Reuben sich ein. »Ist das diese verfluchte Pressetussi?«
»Wovon redest du?«, zischte Frieda.
»Wie bitte?«, fragte Freeman.
»Ich meinte nicht Sie.« Frieda versuchte Reuben mit wütenden Handbewegungen zurück in die Küche zu scheuchen.
»Sie haben doch selbst gesagt, dass er kein Psychopath war«, griff Frieda den Faden wieder auf, »also bestand auch keine Notwendigkeit, ihn zu melden. Schon möglich, dass ich bezüglich des besagten Mannes gewisse Bedenken hatte, aber die würde ich ausschließlich mit ihm selbst diskutieren.«
»Es tut mir leid«, erwiderte Freeman, »aber das ganze Experiment wurde durchgeführt, um zu zeigen, wie Therapeuten reagieren, wenn sie mit einem Patienten konfrontiert sind, der die klassischen, von der Forschung im Lauf der Jahre etablierten Erkennungsmerkmale eines Psychopathen an den Tag legt. Die Öffentlichkeit will bestimmt wissen, ob sie vor solchen Menschen ausreichend geschützt wird.«
»Ich spreche jetzt noch eine Minute mit Ihnen«, erklärte Frieda, »und dann lege ich auf. Erstens haben Sie selbst gesagt, dass er in Wirklichkeit gar kein Psychopath war, sondern lediglich psychopathisches Zeug von sich gab.«
»Geben Psychopathen denn kein psychopathisches Zeug von sich? Als Therapeutin können Sie doch nur mit dem arbeiten, was die Patienten Ihnen sagen.«
»Zweitens – und darauf habe ich auch Seamus Dunne selbst hingewiesen – bitten Psychopathen nicht um Hilfe. Er hat von einem Mangel an Empathie gesprochen, diesen Mangel aber nicht an den Tag gelegt. Das ist meine Antwort.«
»Und Sie waren so sicher, mit Ihrer Einschätzung
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