Schwarzer Mittwoch
auf den Artikel werfe?«
Frieda schob ihr die Zeitung über den Tisch. Sasha beugte sich vor, um den Text zu überfliegen. Als Erstes stach ihr die Schlagzeile ins Auge: »Schweigende Zeugen«.
Es gab auch eine Reihe von Fotos. Das von Frieda kannte Sasha bereits aus einem anderen Pressebericht. Es handelte sich um eine Aufnahme, die jemand auf der Straße von ihr gemacht hatte, ohne dass sie es bemerkte. Sashas Blick wanderte zu einem älteren Foto von James Rundell, auf dem er jugendlicher wirkte als zu der Zeit, als sie mit ihm zu tun hatte, und dann zu einem wesentlich älteren Foto von Reuben. Er sah darauf aus wie ein Psychoanalytiker aus einem französischen Nouvelle-Vague-Film.
Sie deutete auf die Einleitung: »Ein verstörender neuer Studienbericht legt nahe, dass viele Therapeuten versagen, wenn es darum geht, die Öffentlichkeit vor potenziellen Vergewaltigern und Mördern zu schützen.«
Auf der Suche nach Friedas Namen ließ sie den Finger die Seite hinuntergleiten.
»Obwohl Frau Doktor Frieda Klein mit einem Patienten konfrontiert war, der die klassischen Symptome eines mörderischen Psychopathen an den Tag legte, schlug sie ihm keine Behandlung vor und unternahm auch keinen Versuch, ihn den Behörden zu melden. Auf die Frage, warum sie es nicht für nötig hielt, einen Psychopathen der Polizei zu melden, antwortete Doktor Klein, sie habe zwar ›gewisse Bedenken‹ wegen des Patienten gehabt, aber sie ›würde diese nur mit ihm selbst diskutieren‹. Letztendlich weigerte sich Doktor Klein, den Patienten zu behandeln.« Sasha legte eine kurze Verschnaufpause ein, ehe sie den nächsten Abschnitt las.
»Frieda Klein, eine 36-jährige Brünette, geriet dieses Jahr schon einmal in die Schlagzeilen, weil sie in einen schockierenden Vorfall verwickelt war, bei dem zwei Frauen ums Leben kamen und Klein ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Die achtzigjährige Mary Orton wurde damals von einer ausgerasteten, messerschwingenden Schizophrenen namens Beth Kersey erstochen. Die Polizei akzeptierte Kleins Erklärung, sie habe Kersey in Notwehr getötet.« Erneut legte Sasha eine kurze Pause ein, ehe sie weiterlas.
»Der Leiter des Forschungsprojekts, Doktor Hal Bradshaw, kommentierte: ›Auch wenn es verständlich ist, dass man nach allem, was Doktor Klein durchgemacht hat, Mitgefühl für sie empfindet …‹«
»Das ist aber nett von ihm«, bemerkte Sasha.
»Von wem?«, wollte Frieda wissen.
»Von diesem gottverdammten Hal Bradshaw.«
Sasha wandte sich wieder der Zeitung zu.
»›Auch wenn es verständlich ist, dass man nach allem, was Doktor Klein durchgemacht hat, Mitgefühl für sie empfindet, bin ich der Meinung, dass man sich ernsthaft fragen muss, ob sie nicht ein Risiko darstellt, und zwar sowohl für ihre Patienten als auch für die gesamte Öffentlichkeit.‹« Sasha warf einen raschen Blick zu Frieda hinüber.
»Doktor Bradshaw sprach von den akuten Missständen, die durch seine Studie aufgedeckt wurden. ›Es ist für mich kein Vergnügen, derartiges Versagen in den Reihen der Analytiker offenzulegen. Wir haben die Reaktionen von vier Psychoanalytikern getestet, und von diesen vier Testpersonen hat nur eine einzige verantwortungsvoll gehandelt und die Behörden verständigt. Die anderen drei wurden ihrer Verantwortung nicht gerecht: weder ihrer Aufgabe, Patienten zu heilen, noch ihrer Pflicht, die Öffentlichkeit zu schützen.‹« Wieder blickte Sasha kurz hoch.
»Im Interview zeigte sich, dass einer der Forscher, der im Rahmen der Studie als Patient fungierte, wegen dieser Erfahrung immer noch erzürnt ist. ›Mir wurde gesagt, Doktor Klein sei eine herausragende Expertin, aber als ich ihr die Geschichte präsentierte, die mich als Psychopathen auswies, reagierte sie überhaupt nicht. Sie stellte mir nur irrelevante Fragen über meine Ernährung, Schlafgewohnheiten und Ähnliches. Ich hatte den Eindruck, dass sie gar nicht bei der Sache war, sondern in Gedanken mit anderen Dingen beschäftigt.‹«
Sasha warf die Zeitung auf den Tisch.
»Mir ist klar, dass ich jetzt etwas Tröstliches sagen sollte, aber ich weiß wirklich nicht, wie du das aushältst. Du bist in der Welt da draußen zu einem Hassobjekt geworden, auf dem die Leute herumtrampeln. Sie bewerfen dich mit Dreck und verunglimpfen dich mit Lügen. Die Vorstellung, dass dieser Kerl zu dir kommt und behauptet, er bräuchte deine Hilfe, obwohl es in Wirklichkeit bloß ein mieser Trick war – fühlst du dich dadurch nicht
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