Schwarzer Mittwoch
Schauspielerin, für Scharadespiele völlig ungeeignet. Und lügen konnte sie auch nicht, selbst wenn es um ihr Leben gegangen wäre. Wenn sie es versuchte, wurde sie jedes Mal rot, und wir lachten sie alle aus. Die ganze Familie zog sie damit auf. Aber wie sich nun herausstellt, war sie sogar eine ganz fantastische Schauspielerin und Lügnerin, nicht wahr?«
»Kannst du uns etwas über den Tag erzählen, an dem sie ums Leben kam, den Mittwoch, den sechsten April?«
»Was soll ich Ihnen da erzählen?«
»Wann du von zu Hause aufgebrochen bist, was du den Tag über getan hast, wann du zurückgekommen bist. So in der Art.«
Ted bedachte Karlsson mit einem grimmigen Blick, ehe er antwortete: »Verstehe. Sie meinen mein Alibi. Ich bin um die gleiche Zeit wie immer von zu Hause aufgebrochen, gegen halb acht. Ich habe zur Schule nur ein paar Minuten zu gehen. An dem Tag wollte ich zeitig dort sein, weil gleich für die erste Stunde eine Probeklausur in Kunst angesagt war. Übrigens habe ich gerade erfahren, dass ich mit einer Eins abgeschnitten habe.« Er grinste. »Super, oder? Den Rest des Tages hatte ich normalen Unterricht. Dann traf ich mich mit Judith, und wir hingen ein bisschen herum, bevor wir uns zusammen auf den Heimweg machten – und überall Polizei vorfanden. Reicht Ihnen das?«
»Ja, das reicht.«
Als Nächstes war Judith Lennox an der Reihe. Lautlos wie ein Geist betrat sie den Raum und musterte erst einmal alle Anwesenden der Reihe nach. Sie hatte blassblaue Augen, kupferrote Locken und jede Menge Sommersprossen. Obwohl ihr Haar dringend gewaschen gehörte und sie über ihrer alten Jogginghose einen weiten grünen Pulli trug, der offenbar aus dem Schrank ihres Vaters stammte, weil er ihr fast bis zu den Knien und mit seinen langen Ärmeln auch über die Hände reichte, sah man trotzdem auf den ersten Blick, dass sie sehr hübsch war – ausgestattet mit dem rosigen Hauch der Jugend, der selbst nach tagelangem Weinen noch ein wenig durchschimmerte.
»Ich habe nichts zu sagen!«, verkündete sie.
»Das ist ganz in Ordnung, meine Liebe«, murmelte Amanda Thorne. »Du musst auch gar nichts sagen.«
»Wenn ihr jetzt alle glaubt, dass es Dad war, seid ihr einfach nur blöd!«
»Wie kommst du darauf?«
»Das liegt doch auf der Hand: Mum hat ihn betrogen, und deswegen denkt ihr, er muss es herausgefunden und sie umgebracht haben. Aber Dad hat sie vergöttert! Außerdem wusste er nichts davon, nicht das Geringste. Bloß weil ihr das glaubt, ist es noch lange nicht wahr.«
»Natürlich nicht«, antwortete Karlsson.
Frieda betrachtete das Mädchen. Judith war fünfzehn, fast schon eine junge Frau. Sie hatte nicht nur ihre Mutter verloren, sondern darüber hinaus alles, was diese Mutter für sie bedeutet hatte. Nun musste sie auch noch befürchten, ihren Vater zu verlieren.
»Als du erfahren hast, was mit deiner Mutter …«, begann sie.
»Ich bin mit Ted nach Hause gekommen«, schnitt Judith ihr das Wort ab. Sie stieß ein leises Schluchzen aus. »Der arme Ted. In seinen Augen war Mum immer vollkommen.«
»In deinen nicht?«
»Für Töchter ist das anders.«
»Inwiefern?«
»Er war ihr Liebling, ihr großer Junge, und Dora ihr süßes kleines Baby. Ich habe ihr den Lippenstift geklaut … na ja, nicht wirklich. Sie hatte es nicht so mit Make-up und dem ganzen Zeug. Aber Sie wissen schon, was ich meine. Jedenfalls bin ich das mittlere Kind.«
»Bist du sicher, dass niemand Bescheid wusste?«
»Dass sie Dad die ganze Zeit betrogen hat? Nein, das wusste niemand. Ich kann es ja selbst noch nicht glauben.« Sie rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Es kommt mir vor wie ein Film«, fuhr sie fort, »gar nicht wie das wirkliche Leben. Es sieht ihr überhaupt nicht ähnlich. Das ist doch einfach blöd. Schließlich ist sie nicht mehr die Jüngste und sieht nicht mal besonders gut aus.« Sie brach ab und verzog das Gesicht. »Das war jetzt nicht so gemeint, wie es sich angehört hat, aber Sie wissen schon, was ich damit sagen will. Sie bekommt schon graue Haare, trägt nur noch sportliche, praktische Unterwäsche und kümmert sich nicht darum, wie sie aussieht.« Plötzlich schien ihr bewusst zu werden, dass sie im Präsens von ihrer Mutter sprach. Verstohlen wischte sie sich über die Augen. »Dad hatte keine Ahnung, das dürfen Sie mir glauben«, erklärte sie dann mit Nachdruck. »Ich schwöre Ihnen, dass er keinen blassen Schimmer hatte. Er ist völlig am Ende. Lassen Sie ihn in Ruhe. Lassen
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