Schwarzer Mittwoch
bereit erklärt haben.«
»Inzwischen bereue ich es fast schon. Ich habe Sie nämlich gegoogelt. Sie sind derjenige, der dafür gesorgt hat, dass dieser George Conley wieder auf freiem Fuß ist.«
»Ich würde nicht sagen, dass das allein mein Verdienst war.«
»Nun kann er losziehen und es wieder tun.«
»Es gibt keine Beweise dafür, dass …«
»Wie auch immer, kommen Sie herein, und setzen Sie sich.«
Sie nahmen in der Küche Platz. Während Sarah Ingatestone löslichen Kaffee für sie beide aufgoss, breitete Fearby seine Utensilien vor sich aus: sein Spiralnotizbuch, das genau so aussah wie jenes erste, das er vor all den Jahren als junger Reporter benutzt hatte, die lila Mappe mit seinen Unterlagen und schließlich die drei Füller, die er ordentlich nebeneinander aufreihte, obwohl er zum Stenografieren immer seinen Bleistift benutzte. Sie schwiegen beide, bis Mrs. Ingatestone die zwei Kaffeetassen auf den Tisch gestellt und sich ihm gegenüber niedergelassen hatte. Erst jetzt nahm er sie genauer in Augenschein: grau meliertes Haar, männlich kurz geschnitten, und graublaue Augen in einem Gesicht, das noch nicht alt war, aber trotzdem scharfe Falten und Furchen aufwies. Kummerfalten, keine Lachfalten, dachte Fearby. Ihre mit Hundehaaren übersäte Kleidung wirkte alt und schäbig. Sie nannte sich Mrs. Ingatestone, aber von einem Mr. Ingatestone war in diesem Haus nichts zu sehen.
»Sie haben gesagt, es geht um Roxanne.«
»Ja.«
»Warum? Es ist über neun Jahre her, fast schon zehn. Kein Mensch fragt mehr nach ihr.«
»Ich bin investigativer Journalist.« Am besten, er blieb möglichst vage. »Im Zusammenhang mit einer Geschichte, an der ich gerade arbeite, stelle ich ein paar Nachforschungen an.«
Sie verschränkte die Arme. Die Geste wirkte nicht abwehrend, sondern eher so, als versuchte sie sich zu wappnen, weil sie damit rechnete, dass gleich eine Reihe von Schlägen auf sie einprasseln würde.
»Legen Sie los«, sagte sie. »Im Grunde ist es mir egal, wofür Sie es brauchen. Es tut mir einfach gut, ihren Namen laut auszusprechen. Das gibt mir das Gefühl, dass sie noch lebt.«
Also begann er seine Fragenliste abzuhaken. Während sie antwortete, huschte sein Bleistift übers Papier und hinterließ seine hieroglyphenartigen Zeichen.
Wie alt war Roxanne, als sie verschwand?
»Siebzehn. Siebzehn Jahre und drei Monate. Sie hatte im März Geburtstag – ein Fisch. Was nicht heißen soll, dass ich an das alles glaube. Sie wäre, besser gesagt, sie ist inzwischen siebenundzwanzig.«
Wann haben Sie Ihre Tochter das letzte Mal gesehen?
»Am zweiten Juni 2001.«
Um welche Uhrzeit?
»Es muss so gegen halb sieben Uhr abends gewesen sein. Sie wollte sich mit einer Freundin auf einen kurzen Drink treffen. Sie ist nie zurückgekommen.«
War sie mit dem Auto unterwegs?
»Nein. Die Freundin wohnte nicht weit weg. Es waren höchstens zehn, fünfzehn Minuten zu Fuß.«
Auf der Straße?
»Ja. Es handelte sich um eine wenig befahrene Straße, jedenfalls den größten Teil der Strecke.«
Dann hat sie wohl keine Abkürzung genommen – querfeldein oder so?
»Auf keinen Fall. Sie hatte sich richtig aufgestylt, mit Minirock und hochhackigen Schuhen. Bevor sie aufbrach, stritten wir uns deswegen sogar noch. Ich sagte zu ihr, mit den Schuhen werde sie keine fünfzig Meter schaffen – geschweige denn anderthalb Kilometer.«
Ist sie je bei der Freundin angekommen?
»Nein.«
Wie lange hat die Freundin gewartet, bevor sie jemanden alarmierte?
»Allem Anschein nach hat sie nach einer Dreiviertelstunde versucht, Roxanne auf dem Handy anzurufen. Ich selbst habe davon erst am nächsten Morgen erfahren. Wir, das heißt mein Mann und ich, sind gegen halb elf ins Bett gegangen. Wir haben nicht auf sie gewartet.« Ihre Stimme klang flach. Sie legte ihre Antworten wie Karten auf den Tisch – mit dem Gesicht nach unten.
Haben Sie schon hier gewohnt, als Roxanne verschwand?
»Nein, aber in der Nähe. Wir sind umgezogen, als … nachdem … nun ja, mein Mann und ich haben uns drei Jahre später getrennt, wir konnten einfach nicht … es war nicht seine Schuld, sondern eher meine, wenn überhaupt. Roxannes Schwester Marianne ist auch ausgezogen, sie hat damals zu studieren begonnen, lässt sich aber nach wie vor nicht oft zu Hause blicken. Und Roxanne ist natürlich auch nie zurückgekommen. Obwohl alle anderen längst weg waren, habe ich im Haus ausgeharrt, so lange ich konnte, bis ich es schließlich auch nicht mehr
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