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Schwarzer Mittwoch

Schwarzer Mittwoch

Titel: Schwarzer Mittwoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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aushielt. Eine Weile habe ich ihr sogar noch eine Wärmflasche ins Bett gelegt, wenn es kalt war, nur für alle Fälle … Am Ende bin ich hier gelandet und habe mir meine Hunde angeschafft.«
    Können Sie mir bitte auf dieser Landkarte zeigen, wo Sie gewohnt haben?
    Fearby faltete die Karte auseinander, die er aus seiner Mappe gezogen hatte, und Sarah Ingatestone setzte ihre Lesebrille auf. Schließlich legte sie ihren Zeigefinger auf eine bestimmte Stelle. Fearby nahm einen von seinen Füllfederhaltern und zeichnete ein kleines Tintenkreuz ein.
    Sie sagen, Sie hatten sich gestritten?
    »Nein. Ja, doch, aber es war kein richtiger Streit. Das Mädchen war siebzehn. Sie hatte schon ihren eigenen Kopf. Als ich das denen von der Polizei erzählte, dachten sie … aber das stimmt nicht. Da bin ich mir ganz sicher.« Sie presste ihre Handflächen fest aufeinander und starrte ihn mit verbissener Miene an. »Sie war kein nachtragender Mensch.«
    Glaubt die Polizei, dass sie tot ist?
    »Alle glauben, dass sie tot ist.«
    Sie auch?
    »Ich kann das nicht. Ich muss daran glauben, dass sie nach Hause kommt.« Ihr Gesicht zuckte einen Moment, dann wurde es wieder hart. »Meinen Sie, ich hätte nicht umziehen sollen? Vielleicht hätte ich doch besser dort bleiben sollen, wo wir damals alle miteinander gelebt haben?«
    Können Sie Roxanne beschreiben? Haben Sie ein Foto von ihr?
    »Hier.« Glänzendes, schulterlanges braunes Haar, dunkle Augenbrauen. Die graublauen Augen ihrer Mutter, auch wenn sie in ihrem schmalen Gesicht weiter auseinanderstanden, was ihr einen leicht verblüfften Ausdruck verlieh. Ein Muttermal auf der Wange. Ein etwas schiefes Lächeln. Sie hatte etwas Asymmetrisches, Zerbrechliches an sich. »Aber es wird ihr nicht gerecht. Sie war zwar klein und dünn, aber sehr hübsch und voller Leben.«
    Hatte sie einen Freund?
    »Nein, nicht dass ich wüsste. Es hatte schon den einen oder anderen Freund gegeben, aber noch nichts Ernstes. Allerdings gab es einen Jungen, der ihr gefiel.«
    Und ihr Wesen? War sie beispielsweise schüchtern oder eher extrovertiert?
    »Roxanne und schüchtern? Sie war unglaublich freundlich und offen – fast schon kühn, könnte man sagen. Sie hat immer ausgesprochen, was sie dachte, und konnte ziemlich jähzornig werden – aber sie hat alles gegeben, wenn es darum ging, jemandem zu helfen. Sie war wirklich ein liebes Mädchen, wenn auch vielleicht ein bisschen wild. Aber sie hatte ein gutes Herz.«
    Hätte sie mit einem Fremden gesprochen?
    »Ja.«
    Wäre sie zu einem Fremden ins Auto gestiegen?
    »Nein.«
    Als Fearby nach ihrem Gespräch im Begriff war zu gehen, hielt sie ihn am Arm zurück.
    »Glauben Sie, dass sie noch am Leben ist?«
    »Misses Ingatestone, das kann ich Ihnen unmöglich …«
    »Ich weiß, aber glauben Sie es? Wenn Sie an meiner Stelle wären, würden Sie dann noch daran glauben, dass sie lebt?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Diese Ungewissheit gibt mir das Gefühl, als wäre ich selbst lebendig begraben.«
    An einem Rastplatz hielt Jim Fearby an und holte seine Liste mit den Namen heraus. Einer war bereits durchgestrichen. Neben den Namen von Roxanne Ingatestone aber machte er ein Häkchen. Nein, er glaubte nicht, dass sie noch am Leben war.

29
    J oe Franklin war schon lange nicht mehr in so froher Stimmung gewesen, doch Frieda wusste, dass seine Depressionen zyklisch verliefen. Monatelang fühlte er sich schwerfällig und niedergeschlagen, so dass er kaum in der Lage war, die Abläufe des täglichen Lebens aufrechtzuerhalten. Oft schaffte er es entweder gar nicht, zu ihr in die Praxis zu kommen, oder er brachte kein Wort heraus, wenn er erst einmal da war. Nur von Zeit zu Zeit ließ die tödliche Dumpfheit für eine Weile nach, und er tauchte erschöpft und erleichtert auf in eine hellere Welt. Am Ende aber saugte es ihn immer wieder zurück in das schwarze Loch seiner eigenen Persönlichkeit. Dass er zu Frieda kam, war seine Art, sich an einen Zipfel des Lebens zu klammern, zugleich aber auch so etwas wie eine tröstliche Decke, unter der er Schutz suchte.
    Während ihrer eigenen Therapie hatte Frieda oft das Gefühl gehabt, in der Wüste zu stehen und von der sengenden Sonne wie von einer Lötlampe gnadenlos ausgedörrt und gebleicht zu werden, ohne dass sie sich irgendwo verstecken konnte. Joe dagegen kroch in ihr Sprechzimmer wie ein Tier in ein Schlupfloch. Er versteckte sich vor sich selbst, und vielleicht ermöglichte sie ihm das auf eine Weise, die nicht

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