Schwarzer Mond: Roman
Fahrt nach Vegas immer der reinste Alptraum, denn sie wusste genau, was sie am Ziel erwartete. Und die Rückfahrten waren sogar noch schlimmer, denn vor ihr lag dann wieder das trostlose Leben in dem baufälligen Haus, wo sie der unersättlichen Begierde von Horton Purney hilflos ausgeliefert war. In beiden Richtungen hatte die Straße geradewegs in die Hölle geführt, und mit der Zeit hatte sie allein schon das Rumpeln des Motors, das Dröhnen der Reifen auf dem Pflaster und den ganzen Highway gehasst.
Deshalb war der Genuss, den sowohl Sex als auch Autofahren ihr nun bereiteten, für sie immer wieder das reinste Wunder.
Sie konnte nicht begreifen, woher sie die Kraft und Willensstärke genommen hatte, ihre schreckliche Vergangenheit zu bewältigen. Seit dem vorletzten Sommer hatte sie sich verändert, und dieser Prozess war immer noch im Gange. Und es war einfach wundervoll zu spüren, dass die Ketten der Selbstverachtung und Angst zerbrachen, dass sie zum erstenmal in ihrem Leben Ansätze von schwachem Selbstbewusstsein entwickelte, dass sie frei wurde.
Sie stieg in den Lieferwagen und ließ den Motor an. Ihr Wohnwagen stand auf einem Landstück am südlichen Rand der winzigen Stadt Beowawe, an der Route 21, einer zweispurigen Teerstraße. So weit das Auge reichte, war nur die Hochebene mit ihren runden Hügeln, einzelnen Felsen, ausgetrockneten Flussbetten, Gras und Unterholz zu sehen. Der strahlend blaue Morgenhimmel wölbte sich riesig über diese Landschaft, und als Sandy den Wagen beschleunigte, hatte sie das Gefühl, als könnte sie vom Boden abheben und durch die Lüfte schweben.
Wenn sie auf der Route 21 nach Norden führe, würde sie hinter Beowawe auf die Interstate 80 gelangen, die in östlicher Richtung nach Elko und in westlicher Richtung nach Battle Mountain führte. Sie schlug jedoch die südliche Richtung ein und steuerte den mit Vierradantrieb ausgestatteten Wagen geschickt über die miserable Landstraße. Nach einer Viertelstunde endete die Route 21; von hier aus führte ein Schotterweg durch 130 Kilometer ödes unbewohntes Land nach Süden. Sandy bog jedoch statt dessen auf einen Lehmweg in östliche Richtung ab.
An diesem Weihnachtsmorgen lag stellenweise etwas Schnee, allerdings nicht viel. Die Berge in der Ferne waren weiß, aber hier unten betrug die jährliche Niederschlagsmenge weniger als 40 Zentimeter, und nur ein geringer Teil davon fiel in Form von Schnee. Hier und da schimmerte ein weißer Fleck, und manche Büsche waren mit einer dünnen Eisschicht überzogen, aber der größte Teil der Erde war nackt, braun und trocken.
Sandy fuhr immer noch ziemlich schnell, und der Wagen wirbelte dichte Staubwolken auf. Schließlich verließ sie auch den Lehmweg und fuhr querfeldein, bis sie an eine ihr wohlvertraute Stelle gelangte. Aus Gründen, die ihr unerklärlich waren, führte ihr Unterbewusstsein sie bei ihren einsamen Ausflügen oft hierher, wenn auch selten auf direktem Wege; meistens - wie auch jetzt - war es für sie selbst eine Überraschung, an diesen Ort zu gelangen. Sie brachte den Wagen zum Stehen und blickte eine Zeitlang durch die staubige Windschutzscheibe ins Freie hinaus.
Sie kam hierher, weil sie sich an diesem Ort besonders wohl fühlte, ohne zu wissen, warum. Die Hügel und Felsen, das Gras und Unterholz waren zwar ein reizvoller Anblick, aber das Bild unterschied sich in nichts von Tausenden anderer Plätze ringsum. Und doch verspürte sie hier einen inneren Frieden wie nirgends sonst.
Sie stellte den Motor ab, stieg aus und lief trotz des eisigen Windes eine Weile umher, die Hände in den Taschen ihrer Lammfelljacke vergraben. Ihre Fahrt durch freies Gelände hatte sie in die Zivilisation zurückgeführt - nur wenige hundert Meter nördlich verlief die Interstate 80. Das gelegentliche Dröhnen eines Lastwagenmotors hörte sich an wie fernes Knurren eines Drachens, aber an diesem Feiertag herrschte nur wenig Verkehr.
Jenseits der Autobahn lag in nordwestlicher Richtung das Tranquility Motel und der Tranquility Grille, aber Sandy warf nur einen flüchtigen Blick dorthin. Ihr ganzes Interesse konzentrierte sich auf dieses Stück Land, auf dem sie stand; es übte eine mächtige, geheimnisvolle Anziehungskraft auf sie aus und schien Frieden auszustrahlen, so wie ein Felsen abends die im Laufe des Tages gespeicherte Sonnenhitze ausstrahlt.
Sie versuchte nicht, ihre Vorliebe für dieses Fleckchen Erde zu analysieren. Vermutlich hatten die Konturen -das Zusammenspiel
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