Schwarzer Mond: Roman
nichts abgesplittert ist aber beide sind völlig komplett.«
»Eigentlich ging es mir darum«, erklärte Vater Wycazik, während er die Kugeln in seiner Hand betrachtete, »ob sie für 38er vielleicht zu leicht waren, ob es sich um mangelhafte Munition gehandelt haben könnte -irgendwelche Fabrikationsfehler oder so. Oder hatten sie die richtige Größe?«
»Sie hatten ohne jeden Zweifel die richtige Größe und auch das richtige Gewicht.«
»Groß genug, um viel Schaden anzurichten ... schrecklichen Schaden«, murmelte Vater Wycazik nachdenklich. »Und die Pistole?
Aimes holte aus einem größeren Umschlag den Revolver, mit dem Tolk angeschossen worden war. »Eine stumpfnasige Smith and Wesson Kaliber 38, Chief's Special.«
»Sie haben sie untersucht, Probeschüsse damit abgegeben?«
»Ja. Das wird immer gemacht.«
»Und gab es keine Anzeichen dafür, dass sie nicht hundertprozentig in Ordnung war? Insbesondere etwas, das dazu führen könnte, dass die Kugel die Mündung mit viel geringerer Geschwindigkeit als vorgesehen verlassen würde?«
»Das ist eine seltsame Frage, Vater, aber die Antwort lautet nein. Es ist eine ausgezeichnete Chief's Special, die den hohen Qualitätsansprüchen von Smith and Wesson voll und ganz gerecht wird.«
Während er die beiden Kugeln in den kleinen Umschlag zurücklegte, fragte Vater Wycazik: »Und was ist mit den Patronen? Wäre es möglich, dass sie mit zu wenig Pulver gefüllt oder sonst irgendwie fehlerhaft gewesen sein könnten?«
Aimes zwinkerte mit den Augen. »Ich glaube jetzt zu verstehen, worauf es Ihnen ankommt -Sie versuchen herauszufinden, warum zwei 38er Kugeln in der Brust des Mannes nicht wesentlich mehr Schaden angerichtet haben.«
Stefan Wycazik nickte, gab aber keine näheren Erklärungen.
»Waren noch unbenutzte Patronen im Revolver?«
»Zwei. Und in seiner Jackentasche hatte der Kerl weitere Munition - für 12 Schuss.«
»Haben Sie eine der unbenutzten Patronen geöffnet, um nachzusehen, ob sie vielleicht zu wenig Pulverladung enthielten?«
»Dazu bestand kein Grund.«
»Wäre es Ihnen möglich, eine davon jetzt zu untersuchen?«
»Möglich wäre es schon, aber wozu? Um Himmels willen, was soll das alles, Vater?«
Stefan seufzte. »Ich weiß, dass es eine Zumutung für Sie ist, Dr. Aimes, und ich weiß auch, dass ich Ihnen eine Erklärung schuldig bin. Aber ich kann sie Ihnen nicht geben. Noch nicht. Priester müssen manchmal -genauso wie Arzte und Anwälte die Schweigepflicht wahren. Aber falls ich jemals enthüllen darf, was hinter meiner Neugier steckt, werden Sie der erste sein, dem ich es erzähle.«
Aimes sah ihn forschend an, und Stefan hielt seinem Blick ruhig stand. Schließlich öffnete der Mann von der SID einen dritten Umschlag, der die nicht benutzten Patronen aus der Chief's Special enthielt.
»Warten Sie hier.«
Nach zwanzig Minuten kehrte Aimes mit einem weißen Emailtablett zurück, auf dem zwei zerlegte Patronen lagen. Mit einem Bleistift deutete er auf die Einzelteile. »Dies ist der Patronenboden. Hier sehen Sie Zündhütchen, Zündsatz und Amboss. Diese Öffnung hier stellt die Verbindung zur Treibladung her. Keinerlei Fabrikationsmängel in diesem Teil festzustellen. Am anderen Ende der Patrone befindet sich das Geschoss, bestehend aus Kern und Mantel. Auch hier ist alles in Ordnung. Und zwischen dem Patronenboden und dem Geschoss
-in diesem Fall der Bleikugel -befindet sich die Treibladung. Sehen Sie dieses graue flockige Pulver? Das ist Nitrocellulose, ein hochexplosiver Sprengstoff, der durch den Zündfunken explodiert und dadurch die Kugel aus der Patrone ausstößt. Wie Sie sehen können, ist genügend Nitrocellulose für diese Hülsengröße vorhanden. Aber um ganz sicherzugehen, habe ich auch die zweite Patrone untersucht.«
Aimes deutete mit dem Bleistift darauf.
»Auch hier war alles hundertprozentig in Ordnung. Der Schütze hat gute, zuverlässige Remington-Munition verwendet. Tolk hat einfach Glück gehabt, Vater - sogar sehr viel Glück!«
New York, New York
Jack Twist verbrachte Weihnachten bei seiner Frau Jenny in ihrem Sanatoriumszimmer. An Feiertagen bei ihr zu sein war besonders schlimm. Aber irgendwo anders zu sein und sie allein zu lassen, das wäre für ihn noch viel schlimmer gewesen.
Obwohl Jenny fast zwei Drittel ihrer Ehe im Koma verbracht hatte, hatten die vielen Jahre ohne Kommunikationsmöglichkeit Jacks Liebe zu ihr nicht gemindert. Mehr als acht Jahre waren vergangen, seit sie ihm
Weitere Kostenlose Bücher