Schwarzer Mond: Roman
Laderampen ins Freie gelangen konnten.
Sieben oder acht große Kisten waren gerade von einem Lastwagen abgeladen worden, der vor einer der beiden Rampen stand, und der Fahrer war in einen heftigen Streit mit einem anderen Mann verwickelt. Sonst war kein Mensch zu sehen. Als die beiden Kontrahenten schließlich wutschäumend auf ein verglastes Büro zustürmten, liefen Jack und Oscar lautlos zu den abgeladenen Kisten und sprangen hinten in den Lastwagen, wo sie sich hinter noch nicht abgeladenen Waren versteckten. Kurz darauf kehrte der Fahrer fluchend zurück, schmetterte die Frachttür des LKWs zu und fuhr davon, noch bevor im Gefängnis Alarm ausgelöst wurde.
Zehn Minuten später hielt der LKW zahlreiche Blocks vom Volkszentrum entfernt an. Der Fahrer öffnete die Frachttür und holte ein einzelnes Paket heraus, ohne Jack und Oscar zu entdecken, die nur wenige Zentimeter entfernt hinter aufeinandergestapelten Schachteln kauerten. Sobald er im Gebäude verschwunden war, suchten die beiden Freunde das Weite.
Sie gerieten rasch in ein Armenviertel mit schmutzigen Straßen und elenden Hütten, deren Bewohner am Rande des Existenzminimums dahinvegetierten und für die neuen Tyrannen nicht viel mehr übrig hatten als für die alten und die deshalb bereit waren, zwei geflohene Yankees zu verstecken. Nach Einbruch der Dunkelheit machten sich Jack und Oscar - mit den wenigen Lebensmitteln versehen, die die Slumbewohner entbehren konnten -auf den Weg in die Außenbezirke der Hauptstadt. Als sie schließlich offenes Land erreichten, brachen sie in die Scheune eines Bauernhofes ein und stahlen eine scharfe Sichel, verschrumpelte Äpfel, eine Schmiedeschürze aus Leder und einige grobe Leinwandsäcke, aus denen sie behelfsmäßiges Schuhwerk fabrizieren konnten, sobald die Sohlen ihrer schäbigen Gefängnisschuhe durchgelaufen sein würden. Ihre wichtigste Beute war jedoch ein Pferd, auf dessen Rücken sie noch vor Morgengrauen den Rand des Dschungels erreichten, wo sie das Tier laufen ließen, weil sie im dichten Urwald nur zu Fuß weiterkommen konnten.
Schwach, wie sie waren, ohne ausreichende Nahrungsmittelreserven, mit der Sichel und der Pistole des Wächters als einzigen Waffen, schlugen sie sich in den tropischen Wäldern in nördlicher Richtung durch, auf die 130 Kilometer entfernte Grenze zu, wobei sie sich nur an der Sonne und den Sternen orientieren konnten, weil sie keinen Kompass besaßen. Bei diesem höllischen Marsch war der Gedanke an Jenny für Jack eine wichtige Motivation durchzuhalten. Er träumte von ihr, er sehnte sich nach ihr, und als Oscar und er nach sieben Tagen endlich die Grenze überschritten hatten, wusste Jack, dass er sämtliche Strapazen nicht nur dank seinem Ranger-Training, sondern auch dank Jenny überlebt hatte.
Damals glaubte er, das Schlimmste läge nun hinter ihm. Er irrte sich gewaltig.
Während er nun am Bett seiner Frau saß und der Weihnachtsmusik vom Band lauschte, wurde Jack Twist von Schmerz überwältigt. Weihnachten war eine schlimme Zeit, weil er sich dann unwillkürlich immer daran erinnerte, wie seine Träume von Jenny ihm über das im Gefängnis zugebrachte Weihnachtsfest hinweggeholfen hatten -als sie in Wirklichkeit schon für ihn verloren gewesen war, als sie schon im Koma gelegen hatte.
Fröhliche Feiertage!
Chicago, Illinois
Als Vater Stefan Wycazik durch die Korridore der verschiedenen Abteilungen des >St. Joseph's Hospital< eilte, wurde seine ohnehin schon gehobene Stimmung noch beschwingter.
Überall wimmelte es von Besuchern, und aus den Lautsprechern erklang Weihnachtsmusik. Mütter, Väter, Brüder, Schwestern, Großeltern und andere Verwandte und Freunde der jungen Patienten waren mit Geschenken, Süßigkeiten und guten Wünschen ins Krankenhaus gekommen, und es wurde mehr gelacht als sonst in einem ganzen Monat. Sogar die meisten Schwerkranken hatten ihre Schmerzen für eine Weile vergessen, lächelten und unterhielten sich angeregt.
Nirgends herrschte jedoch eine so hoffnungsfrohe, heitere Atmosphäre wie bei jenen Menschen, die sich am Bett der zehnjährigen Emmeline Halbourg versammelt hatten. Als Vater Wycazik sich vorstellte, wurde er von Emmys Eltern, Großeltern, zwei Schwestern, einer Tante und einem Onkel herzlich begrüßt; alle glaubten, er wäre einer der Krankenhausgeistlichen.
Nach allem, was er am Vortag von Brendan Cronin erfahren hatte, rechnete Vater Wycazik damit, ein glückliches Mädchen auf dem Wege der Genesung vorzufinden;
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