Schwarzer Mond: Roman
zuletzt zugelächelt, seinen Namen ausgesprochen oder seine Küsse erwidert hatte, aber in seinem Herzen war die Zeit gleichsam stehengeblieben; für ihn war sie immer noch die bildhübsche Jenny Mae Alexander, eine bezaubernde junge Braut.
Während seiner Einkerkerung in jenem mittelamerikanischen Gefängnis hatte ihn das Wissen aufrechterhalten, dass Jenny zu Hause auf ihn wartete, ihn vermisste, sich Sorgen um ihn machte und jeden Abend für seine heile Rückkehr betete. Gefoltert und halb verhungert, hatte er sich stets an die Hoffnung geklammert, dass er eines Tages wieder Jennys Arme um seinen Hals spüren und ihr hinreißendes Lachen hören würde. Diese Hoffnung hatte ihn am Leben erhalten und ihn vor dem Wahnsinn bewahrt.
Von den vier gefangenen Rangers hatten nur Jack und sein Freund Oscar Weston überlebt. Fast ein Jahr lang hatten sie darauf gewartet, dass man sie befreien würde; sie waren überzeugt gewesen, dass ihr Land sie niemals im Stich lassen würde.
Manchmal hatten sie überlegt, ob sie mit Waffengewalt oder aber über diplomatische Kanäle befreit werden würden. Nach elf Monaten glaubten sie immer noch, dass ihr Land sie nicht im Gefängnis verfaulen lassen würde, aber sie konnten es sich nicht mehr leisten abzuwarten. Sie waren inzwischen völlig unterernährt und abgemagert. Außerdem hatten sie an Tropenfiebern gelitten, ohne behandelt zu werden, und das hatte sie zusätzlich geschwächt.
Sie waren sich darüber im klaren, dass nur ihre regelmäßigen Besuche im Volkszentrum für Justiz eine Möglichkeit zur Flucht boten. Alle vier Wochen wurden Jack und Oscar aus ihren Zellen geholt und ins Volkszentrum gebracht -ein sauberes, helles Modellgefängnis im Zentrum der Hauptstadt, ohne Schutzmauern und Gitter, das ausländische Journalisten beeindrucken und von der Humanität des neuen Regimes überzeugen sollte.
Dort wurden sie jedesmal geduscht, entlaust, in saubere Kleider gesteckt und -mit gefesselten Händen, damit sie nicht gestikulieren konnten - vor Video-Kameras gesetzt, um höflich verhört zu werden. Normalerweise antworteten sie auf die Fragen mit Schimpfwörtern oder witzigen Bemerkungen, aber das spielte keine Rolle, denn die Aufnahmen wurden ohnehin zensiert und von Leuten, die ein akzentfreies Englisch sprachen, mit genehmen Antworten nachsynchronisiert.
Sobald der Propagandafilm fertig war, wurden sie von ausländischen Reportern, die in einem anderen Raum saßen, mit Hilfe von Ruhestromtelevision interviewt. Die Kamera zeigte sie nie in Nahaufnahmen, und ihre Antworten wurden von den Fragestellern nicht gehört, weil unsichtbare Geheimdienstagenten über ein Mikrophon außerhalb des Kamerabereichs an ihrer Stelle Auskunft gaben.
Zu Beginn ihres elften Monats in Gefangenschaft begannen Jack und Oscar Fluchtpläne zu schmieden, die sie in die Tat umsetzen wollten, wenn sie das nächste Mal in jene der Propaganda dienende Modellstrafanstalt gebracht würden, deren Sicherheitsvorkehrungen bei weitem nicht so streng waren wie in ihrem höllischen - offiziell nicht existierenden - Gefängnis.
Von der fantastischen körperlichen Verfassung bei ihrer Gefangennahme war nicht viel übriggeblieben, und ihre einzigen Waffen waren Nadeln und Splitter aus Rattenknochen, die sie in mühsamer Arbeit geformt und geschärft hatten, indem sie sie an den Steinwänden der Zellen schliffen. Mit diesen armseligen wenn auch messerscharfen - Waffen hofften Jack und Oscar, die mit Schusswaffen ausgerüsteten Wächter besiegen zu können.
Und überraschenderweise gelang ihnen das. Im Volkszentrum wurden sie der Obhut eines einzigen Wächters anvertraut, der sie zu den Duschräumen im ersten Stock begleitete. Der Wächter hatte seine Pistole im Halfter, weil er überzeugt davon war, dass Jack und Oscar schwach, entkräftet und unbewaffnet waren. Er wurde deshalb von ihrem plötzlichen brutalen Angriff völlig überrumpelt. Sie brachten ihn mit den Knochensplittern um, die sie in ihren Kleidern versteckt hatten. Mit durchbohrter Kehle und ausgestochenem rechtem Auge brach er lautlos zusammen.
Oscar und Jack konfiszierten rasch seine Pistole und Munition und schlichen sodann tollkühn die Korridore entlang, mit dem Risiko, entdeckt und gefasst zu werden. Es gelang ihnen jedoch in diesem nur schlecht bewachten >Umerziehungszentrum<, über eine Treppe ins schwach beleuchtete Kellergeschoss zu gelangen, wo sie eine Reihe muffiger Lagerräume durchquerten, bis sie am Ende des Gebäudes über die
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