Schwarzer Mond: Roman
fühlte die runden Monde in seinen Händen, während er sie von der Wand riss -was natürlich völlig verrückt war, denn schließlich waren es ja nur Fotos, die weder Licht noch Wärme erzeugen und ebensowenig auch den runden Mondglobus ersetzen konnten. Aber trotzdem fühlte er all das. Er öffnete die Augen und war sogleich gefesselt von dem vertrauten Himmelskörper.
Genau wie mein Vater. Reif für die Klapsmühle.
Wie fernes Wetterleuchten zuckte dieser Gedanke durch Zeb Lomacks verfinsterten Geist. Er rüttelte ihn auf und erlaubte ihm, sich soweit zu erholen, dass er seinen Blick von den Fotos losreißen und zum Küchentisch stürzen konnte, wo die geladene Schrotflinte lag.
Chicago, Illinois
Vater Stefan Wycazik, Abkömmling willensstarker Polen und Retter von Priestern in Schwierigkeiten, war an Misserfolge nicht gewöhnt und konnte sich nicht leicht damit abfinden.
»Aber wie ist es nur möglich, dass Sie -nach allem, was ich Ihnen erzählt habe - immer noch nicht glauben?« fragte er.
»Vater Stefan«, erwiderte Brendan Cronin, »es tut mir leid, aber die Existenz Gottes ist für mich heute genausowenig eine Gewissheit wie gestern.«
Sie befanden sich in einem Schlafzimmer im ersten Stock des ingwerfarbenen Ziegelhauses von Brendans Eltern im irischen Wohnviertel Bridgeport. Der junge Priester hatte Weihnachten dort verbracht, auf Anweisung Vater Wycaziks, die dieser ihm am Vortag nach der Schießerei in der Imbissstube gegeben hatte.
Brendan saß in grauer Hose und weißem Hemd auf der Kante eines Doppelbettes, das mit einer fadenscheinigen gelben Chenilledecke verhüllt war. Stefan, den der Eigensinn seines Kaplans erbitterte, lief unablässig im Zimmer hin und her - vom Schrank zur Kommode, von dort zum Fenster und zum Bett und wieder zum Schrank zurück, so als wollte er seine Enttäuschung über den Misserfolg abreagieren.
»Heute abend«, sagte er, »habe ich mit einem Atheisten gesprochen, der durch Tolks unglaubliche Heilung halb bekehrt wurde. Und Sie sind völlig unbeeindruckt.«
»Ich freue mich für Dr. Sonneford«, entgegnete Brendan, »aber sein zurückgewonnener Glaube kann den meinen nicht entfachen.«
Die Weigerung des Kaplans, sich von den wundersamen Ereignissen gebührend beeindruckt zu zeigen, war nicht das einzige, was Vater Wycazik verwirrte und ärgerte. Auch die Gelassenheit des jungen Priesters verdross ihn. Wenn Brendan schon nicht den Willen aufbringen konnte, wieder an Gott zu glauben, hätte er doch zumindest wegen seiner anhaltenden Zweifel entmutigt und niedergeschlagen sein müssen. Statt dessen schien er sich über seinen jämmerlichen geistlichen Zustand überhaupt keine Sorgen zu machen, ganz im Gegensatz zu seiner früheren Einstellung. Er hatte sich dramatisch gewandelt; aus unerfindlichen Gründen schien tiefer innerer Friede in Brendan Einzug gehalten zu haben.
Stefan war noch nicht bereit aufzugeben.
»Sie waren es, Brendan, der Emmy Halbourg und Winton Tolk geheilt hat. Sie haben das durch die Kraft jener Stigmata auf Ihren Händen vollbracht! Stigmata, die Gott Ihnen als ein Zeichen gesandt hat.«
Brendan betrachtete seine Hände, auf denen jetzt keine Male zu sehen waren.
»Ich glaube, dass ich ... dass ich Emmy und Winton irgendwie geheilt habe. Aber es war nicht Gott, der durch mich wirkte.«
»Wer außer Gott könnte Ihnen denn solche heilenden Kräfte verliehen haben?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Brendan. »Ich wünschte, ich wüsste es. Aber es war nicht Gott. Ich spürte keine göttliche Gegenwart, Vater.«
»Du liebe Güte, wie soll er Ihnen denn seine Gegenwart noch stärker zu Bewusstsein bringen? Erwarten Sie von ihm, dass er Ihnen mit seinem Stab der Gerechtigkeit auf den Kopf schlägt, sein Diadem lüftet und sich vorstellt? Sie müssen ihm wenigstens auf halbem Wege entgegenkommen, Brendan.«
Der Kaplan lächelte achselzuckend. »Vater, ich weiß, dass diese erstaunlichen Ereignisse keine andere Deutung als eine religiöse zuzulassen scheinen. Aber ich fühle sehr stark, dass etwas anderes als Gott dahinter verborgen ist.«
»Was denn beispielsweise?«
»Ich weiß es nicht. Etwas unglaublich Wichtiges, etwas wirklich Wunderbares und Herrliches ... aber nicht Gott. Sehen Sie mal, Sie sagten, jene Ringe seien Stigmata. Aber wenn sie das tatsächlich sind - warum treten sie dann nicht in irgendeiner Form auf, die für Christen Symbolcharakter hat? Warum Ringe, die in keiner Beziehung zur Botschaft Christi zu stehen
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