Schwarzer Mond: Roman
Alans und Marcies Verfassung bestürzten Jorja.
Marcies irrationale Angst vor Ärzten.
Alans zwanghafte Sexbesessenheit.
Natürlich waren das verschiedenartige psychologische Probleme -krankhafte Furcht einerseits und krankhafte Anziehungskraft andererseits, aber das Element des Krankhaften hatten sie gemeinsam. Marcie war offenbar von ihrer Phobie geheilt worden. Alan hatte nicht so viel Glück gehabt. Er hatte niemanden gehabt, der ihm hätte helfen können, und er war zusammengebrochen, hatte sich in die Genitalien geschossen, die ihn beherrschten, hatte sich eine zweite Kugel ins Gehirn gejagt. Jorja fröstelte. Es wäre schon ein außergewöhnlicher Zufall gewesen, wenn Vater und Tochter nur gleichzeitig psychologische Probleme gehabt hätten, aber es konnte einfach kein Zufall mehr sein, dass beide dieses sonderbare Interesse am Mond hatten. Alan hatte Marcie seit sechs Monaten nicht gesehen, und telefoniert hatten sie miteinander zuletzt im September, und damals war noch keiner von beiden vom Mond fasziniert gewesen. Sie hatten keinen Kontakt gehabt, und somit entfiel die Möglichkeit, dass einer den anderen mit seiner Begeisterung angesteckt hatte. Sie schien in beiden ganz spontan erwacht zu sein.
Jorja dachte daran, dass Marcie im Schlaf vom Mond redete, und sie fragte: »Wissen Sie, ob Allan ungewöhnliche Träume hatte? Träume vom Mond?«
»Ja. Wie kommen Sie darauf? Er hatte solche Träume, aber wenn er aufwachte, konnte er sich nie an irgendwelche Einzelheiten erinnern. Sie fingen an ... ich glaube, so gegen Ende Oktober. Warum? Was ist los?«
»Waren es Alpträume?«
Pepper schüttelte den Kopf. »Nicht direkt. Ich hörte ihn im Schlaf reden. Manchmal klang es so, als hätte er Angst, aber oft lächelte er auch.«
Jorja fror jetzt bis ins innerste Mark. Sie drehte sich um und starrte auf den beleuchteten Mondglobus.
Was zum Teufel geht da nur vor? dachte sie. Identische Träume? Ist so etwas möglich? Wie? Und warum?
Hinter ihr fragte Pepper: »Ist alles in Ordnung?«
Irgend etwas hatte Alan zum Selbstmord getrieben.
Was würde mit Marcie geschehen?
8. Samstag, 11. Januar Boston, Massachusetts
Der Trauergottesdienst für Pablo Jackson fand am Samstag, dem 11. Januar, um elf Uhr vormittags in einer Kapelle auf dem Friedhof statt, wo er auch begraben werden sollte. Der Untersuchungsrichter und die Gerichtsmediziner hatten die Leiche erst am Donnerstag freigegeben, deshalb konnte die Beerdigung erst fünf Tage nach Pablos Ermordung erfolgen.
Nach der letzten Rede begaben sich die Trauergäste zum Grab, wo der Sarg schon auf sie wartete. Um das Grab war der Schnee geräumt worden, aber der vorbereitete Platz reichte nicht aus. Dutzende von Menschen standen im tiefen Schnee; andere blieben auf den Wegen und verfolgten das Geschehen aus einiger Entfernung. Dreihundert Personen waren erschienen, um dem alten Zauberkünstler die letzte Ehre zu erweisen.
In der kalten Luft vermischten sich die Atemwolken von Armen und Reichen, Prominenten und Unbekannten, von Bostons High Society und Bühnenkünstlern.
Ginger Weiss und Rita Hannaby standen in der ersten Reihe am Grab. Seit Montag hatte Ginger nicht viel Appetit gehabt und wenig geschlafen. Sie war bleich, nervös und sehr müde.
Rita und George hatten ihr davon abgeraten, an der Beerdigung teilzunehmen. Sie befürchteten, dass die emotionale Erschütterung eine neue Fugue auslösen könnte. Der Polizei war hingegen an ihrer Teilnahme gelegen gewesen, denn sie hoffte, dass Ginger vielleicht Pablos Mörder sehen würde. Aus Selbstschutz hatte Ginger der Polizei die Wahrheit verschwiegen und sie in dem Glauben gelassen, der Mörder sei ein gewöhnlicher Einbrecher gewesen; und Einbrecher trieb es manchmal zu solchen blödsinnigen Handlungen wie dem Beiwohnen an der Beerdigung ihres Opfers. Aber Ginger wusste, dass Pablos Mörder kein gewöhnlicher Einbrecher gewesen war und niemals das Risiko eingehen würde, auf dem Friedhof verhaftet zu werden.
Ginger weinte während des Trauergottesdienstes, und auf dem Weg von der Kapelle zum Grab drückte ihr der Kummer fast das Herz ab. Aber sie verlor nicht die Kontrolle über sich.
Sie war fest entschlossen, die Trauerfeier nicht durch einen Anfall zu entweihen, sondern würdevoll von ihrem Freund Abschied zu nehmen.
Außerdem hatte ihr Kommen noch einen zweiten Grund, und diesen Vorsatz würde sie nicht in die Tat umsetzen können, wenn sie einen Anfall oder einen Nervenzusammenbruch erlitt.
Sie war
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