Schwarzer Mond: Roman
seines verzweifelten Kampfes gegen den Somnambulismus.
Parker Faine war sein bester Freund, vermutlich der einzige Mensch auf der ganzen Welt, mit dem er völlig offen sprechen konnte, obwohl sie auf den ersten Blick wenig Gemeinsamkeiten zu haben schienen. Dom war ein hochgewachsener, schlanker, fast magerer Mann, während Parker Faine kräftig, dick und etwas schwerfällig war. Dom trug keinen Bart und ging alle drei Wochen zum Friseur, um sich die Haare schneiden zu lassen; Parkers Haare waren genauso wirr und ungepflegt wie sein Bart, und er hatte dichte, buschige Augenbrauen. Er sah wie eine Mischung von professionellem Ringer und Beatnik der fünfziger Jahre aus. Dom trank wenig und wurde schnell beschwipst, während Parkers Durst und Trinkfestigkeit geradezu legendär waren. Dom war von Natur aus ein Einzelgänger, der nicht leicht Freundschaften schloss; Parker hingegen besaß die Gabe, sofort mit jedermann Kontakt zu bekommen; und eine Stunde nach der ersten Begegnung hatte man das Gefühl, ihn schon seit einer Ewigkeit zu kennen. Parker war fünfzig, fünfzehn Jahre älter als Dom. Er war seit fast einem Vierteljahrhundert reich und berühmt, und beides sagte ihm sehr zu; er konnte Doms Unbehagen über den plötzlichen Zustrom von Geld und Anerkennung in Zusammenhang mit >Twilight in Babylon< absolut nicht begreifen. Dom war zu diesem Mittagessen in Bally-Schuhen, dunkelbraunen Hosen und einem hellbraunkarierten Hemd mit abknöpfbarem Kragen erschienen; Parker trug blaue Tennisschuhe, zerknitterte weiße Baumwollhosen und ein über die Hose hängendes weiß-blau geblümtes Hemd. Man konnte fast den Eindruck gewinnen, als hätten die beiden Männer sich für zwei völlig verschiedene Verabredungen angekleidet, sich dann rein zufällig vor dem Restaurant getroffen und plötzlich den Einfall gehabt, gemeinsam zu speisen.
Trotz der vielen Unterschiede, die zwischen ihnen bestanden, hatten sie rasch Freundschaft geschlossen, denn in einigen wichtigen Punkten waren sie sich doch sehr ähnlich. Beide waren Künstler, nicht aufgrund freier Entscheidung, sondern sozusagen aus innerem Zwang heraus. Dom malte mit Wörtern, Parker mit Farben; und beide gingen an ihre Kunst mit hohen Ansprüchen, handwerklichem Können und Hingabe heran. Hinzu kam noch, dass - obwohl Parker leichter Freundschaften schloss als Dom beide der Freundschaft einen enormen Stellenwert beimaßen und sie sorgsam pflegten.
Sie hatten sich vor sechs Jahren kennengelernt, als Parker für achtzehn Monate nach Oregon gekommen war, auf der Suche nach neuen Motiven für eine Reihe von Landschaftsgemälden in seinem unverwechselbaren Stil, einer erfolgreichen Verbindung von Suprarealismus mit surrealistischer Fantastik. Er hatte eingewilligt, für die Dauer seines Aufenthalts in Oregon eine Vorlesung pro Monat an der University of Portland zu halten, wo Dom in der englischen Abteilung beschäftigt war.
Während sich Parker jetzt am Tisch lümmelte und laut schmatzend die nachos verzehrte, die vor Käse, guacamole und Sauerrahm nur so troffen, nippte Dom an einer Flasche Modelo Negra und berichtete von seinen unfreiwilligen nächtlichen Abenteuern. Er sprach leise, obwohl das vermutlich überflüssig war: Die anderen Gäste auf der Terrasse waren in ihre eigenen lautstarken Unterhaltungen vertieft. Dom rührte die nachos nicht an. Er war an diesem Morgen zum vierten Male hinter der Heizung in der Garage aufgewacht, in einem Zustand panischer Angst, und seine andauernde Unfähigkeit, sein Schlafwandeln zu überwinden, deprimierte ihn und raubte ihm den Appetit.
Als er zum Ende seiner Geschichte kam, hatte er sein Bier erst zur Hälfte ausgetrunken, denn sogar dieses starke, dunkle mexikanische Getränk schmeckte heute fade und abgestanden.
Parker hatte währenddessen schon drei doppelte Margaritas gekippt und einen vierten bestellt. Trotz seines Alkoholkonsums hatte er dem Bericht seines Freundes jedoch mit größter Aufmerksamkeit gelauscht. »Mein Gott, Junge, warum hast du mir nicht schon früher davon erzählt, schon vor Wochen?«
»Ich kam mir so ... na ja, albern vor.«
»Blödsinn! Scheißdreck!« knurrte der Maler mit gedämpfter Stimme, während er mit seiner riesigen Pranke heftig gestikulierte.
Der mexikanische Ober, der wie eine verkleinerte Ausgabe von Wayne Newton aussah, brachte Parkers Margarita und fragte, ob sie jetzt das Mittagessen bestellen wollten.
»Nein, nein! Das Sonntagsmittagessen ist doch nur ein Vorwand für zu viele
Weitere Kostenlose Bücher