Schwarzer Mond: Roman
nüchternen Augen. Er konnte sich nicht
erklären, warum das für ihn immer ein geweihter Ort gewesen war. Es war doch eben nur ein ganz gewöhnlicher Ort.
Ein Ort wie jeder andere auch. Wenn er jetzt hinausging, wenn er das vertraute Ritual vollzog, würde er ein Heuchler sein. Er würde die Gläubigen täuschen.
Die Verwirrung in Kerrys Gesicht verwandelte sich in Besorgnis. Der Junge warf einen Blick auf die Kirchenbänke, die Brendan Cronin von seinem Standort aus nicht sehen konnte, dann schaute er wieder seinen Priester an.
Wie kann ich die Messe lesen, wenn ich nicht mehr glaube? fragte sich Brendan.
Aber ihm blieb ja nichts anderes übrig.
Mit dem Kelch in der linken Hand dicht vor der Brust, die rechte Hand auf Bursa und Velum gelegt, folgte er endlich Kerry, zog ins Heiligtum ein, wo Christus ihn vom Kreuz herab anklagend anzusehen schien.
Wie gewöhnlich waren knapp hundert Gläubige zur Frühmesse gekommen. Ihre Gesichter waren jedoch ungewöhnlich bleich und strahlend, so als hätte Gott an diesem Morgen Menschen den Zutritt verwehrt und statt dessen eine Abordnung strafender Engel gesandt, die das Sakrileg eines zweifelnden Priesters bezeugen sollten, der es wagte, trotz seines gefallenen Zustandes das heilige Opfer darzubringen.
Im Verlauf der Messe wurde Vater Cronins Verzweiflung immer größer. Seit er das >Introibo ad altare Dei< gesprochen hatte, steigerte der Fortgang der Zeremonie die innere Not des Priesters ins schier Unerträgliche. Als Kerry McDevit das Missale von der Epistelseite des Altars zur Evangelienseite trug, fühlte sich Vater Cronin vor Verzagtheit einem Zusammenbruch nahe.
Seine spirituelle und emotionale Erschöpfung war so groß, dass er kaum die Arme ausbreiten konnte, dass er nur mit größter Mühe seine Augen auf das Evangelium richten und den Text der Heiligen Schrift murmeln konnte. Die Gesichter der Gläubigen verschwammen zu konturenlosen Flecken. Beim Kanon konnte er kaum noch flüstern. Ihm war bewusst, dass Kerry ihn bestürzt anstarrte, und bestimmt blieb es auch den Gläubigen nicht verborgen, dass etwas nicht stimmte. Er schwitzte und zitterte am ganzen Leibe. Das schreckliche Grau in seinem Innern wurde noch dunkler, verwandelte sich in totale Schwärze, und er hatte das Gefühl, als würde er in einen grauenhaften dunklen Abgrund gerissen.
Als er dann die Konsekrationsworte sprach und damit das Mysterium der Wandlung vollzog, als er die Hostie in seinen Händen hielt und der Gemeinde zeigte, ärgerte er sich über sich selbst, weil er unfähig war zu glauben, ärgerte sich über die Kirche, die es versäumt hatte, ihn mit stärkeren Waffen gegen den Zweifel auszustatten, ärgerte sich darüber, dass sein ganzes Leben durch idiotische Mythen irregeleitet und vergeudet zu sein schien. Sein Ärger wurde immer heftiger, immer intensiver, erreichte den Siedepunkt und verwandelte sich in Wut, in eine alles versengende Rage.
Zu seiner eigenen Überraschung entrang sich seiner Brust ein wilder Schrei, und er schleuderte den Kelch über den Altar hinweg. Das Gefäß prallte mit lautem Klirren an die Wand, wobei Wein herausspritzte, flog gegen eine Statue der Heiligen Jungfrau und schlug schließlich auf dem Boden auf, wo es neben dem Analogion für das Evangelium liegenblieb.
Kerry McDevit taumelte entsetzt einige Schritte rückwärts, und im Kirchenschiff schnappten die kapp hundert Gläubigen förmlich nach Luft, aber diese Reaktionen brachten Brendan Cronin nicht zur Besinnung. In wilder Rage, die sein einziger Schutz gegen selbstmörderische Verzweiflung war, fegte er mit einem Arm die Patene mit Hostien vom Altar. Mit einem weiteren heiseren Schrei, einer Mischung aus Zorn und Schmerz, griff er unter seine Kasel, riss sich die Stola vom Hals und warf sie zu Boden, dann wandte er sich vom Altar ab und stürzte in die Sakristei. Dort legte sich seine Wut so plötzlich, wie sie gekommen war, und er stand verwirrt da, in Schweiß gebadet.
Es war der 1. Dezember.
7. Laguna Beach, Kalifornien
Am ersten Sonntag im Dezember aß Dom Corvaisis mit Parker Faine zu Mittag, auf der Terrasse des >Las Brisas<, im Schatten eines Sonnenschirms an einem Tischchen, von dem aus man einen herrlichen Blick auf das schillernde Meer hatte. Das schöne Wetter hielt dieses Jahr lange an. Während die leichte Brise das Geschrei von Möwen, den Geruch nach Tang und den süßen Duft von Jasmin zu ihnen trug, erzählte Dominick Parker jede verwirrende und bestürzende Einzelheit
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