Schwarzer Mond: Roman
auch nicht kurzfristig -mit dem Gedanken gespielt, einen anderen Beruf zu wählen. Seine Eltern waren fromm und hatten ihn im Geiste der Treue und Liebe zur Kirche erzogen. Er war jedoch nicht ihnen zuliebe Priester geworden. So abgedroschen sich das in diesem Zeitalter des Agnostizismus für andere auch anhören mochte - er hatte sich einfach schon in sehr frühem Alter zum Priestertum berufen gefühlt. Und obwohl sein Glaube nun dahingeschwunden war, blieb der heilige Dienst der wesentlichste Teil seines Self-Image; gleichzeitig wusste er jedoch, dass er nicht weiterhin die Messe feiern, beten und Hilfesuchenden Rat und Trost spenden konnte, wenn das alles für ihn nur eine Farce war.
Brendan Cronin legte sich die Stola um den Hals. Während er dann die Kasel anzog, wurde die Tür, die vom Hof in die Sakristei führte, aufgerissen, und ein Junge stürzte herein und schaltete das elektrische Licht ein, auf das der Priester bewusst verzichtet hatte.
»Morgen, Vater!«
»Guten Morgen, Kerry. Wie geht's dir an diesem schönen Morgen?«
Kerry McDevits Haare waren von einem viel kräftigeren Rot als die des Priesters, aber ansonsten hätte er sein Blutsverwandter sein können. Er war dicklich, sommersprossig und hatte schelmische grüne Augen. »Gut, Vater. Aber 's ist ganz schön kalt heute morgen. Wie 'ner Hexe ihr ...«
»Ja? Wie einer Hexe ihr - was?«
»Kühlschrank«, murmelte der Junge darauf verlegen. »So kalt wie der Kühlschrank einer Hexe, Vater. Und der ist wirklich kalt.«
Wenn er nicht so deprimiert gewesen wäre, hätte sich Brendan bestimmt darüber amüsiert, wie der Junge gerade noch eine unanständige Redensart verschluckt hatte, aber in seiner gegenwärtigen Gemütsverfassung brachte er nicht einmal ein schwaches Lächeln zustande. Sein Schweigen wurde zweifellos als strenge Missbilligung interpretiert, denn Kerry senkte den Blick und ging rasch zum Schrank, wo er Mantel, Schal und Handschuhe verstaute und seinen Messdienertalar und das Chorhemd vom Kleiderbügel nahm.
Sogar als Brendan das Kreuz auf dem Manipel küsste und ihn am linken Unterarm befestigte, war er innerlich völlig unbeteiligt. Anstelle von Glaube und Freude empfand er nur jenen kalten, pochenden, dumpfen Schmerz. Melancholisch erinnerte er sich an das Glücksgefühl, mit dem er früher jede priesterliche Aufgabe begonnen hatte.
Bis zum August hatte er nie an der Weisheit der Kirche und an der Richtigkeit seiner Entscheidung gezweifelt. Er war ein so hervorragender Student gewesen, in profanen ebenso wie in theologischen Fächern, dass er zur Vervollständigung seiner katholischen Ausbildung ans North American College in Rom geschickt worden war. Er liebte die Heilige Stadt -deren Architektur, Geschichte und die freundlichen Menschen. Nach seiner Priesterweihe und der Aufnahme in den Jesuitenorden hatte er zwei Jahre im Vatikan verbracht, als Assistent von Monsignore Guiseppe Orbella, der die meisten Reden für Seine Heiligkeit, den Papst, schrieb und diesen in Fragen der Glaubenslehre beriet. Nach dieser Auszeichnung hatte er den sehr begehrten Posten eines Mitarbeiters beim Kardinal der Erzdiözese von Chicago bekommen können, aber Vater Cronin hatte statt dessen darum gebeten, als Kaplan einer kleinen oder mittelgroßen Gemeinde zugeteilt zu werden wie jeder andere junge Priester.
Nach einem Besuch bei Bischof Santefiore in San Francisco einem alten Freund von Monsignore Orbella - und einem Urlaub, in dem er geruhsam mit dem Auto von San Francisco nach Chicago gefahren war, hatte er seine Stelle in St. Bernadette angetreten, wo er sogar die alltäglichsten Pflichten eines Kaplans mit großer Freude erfüllt hatte. Bedauern oder Zweifel hatte er nie verspürt.
Während er jetzt beobachtete, wie der Ministrant in sein Chorhemd schlüpfte, sehnte sich Vater Cronin nach dem schlichten Glauben, der ihm so lange Zeit hindurch Freude und Stütze gewesen war. War dieser Glaube nur vorübergehend geschwunden, oder hatte er ihn für immer verloren?
Als Kerry angekleidet war, ging er vor dem Priester durch die Sakristeitür in die Kirche. Nach einigen Schritten spürte er offenbar, dass Vater Cronin ihm nicht folgte, denn er schaute sich verwirrt um.
Brendan Cronin zögerte. Durch die offene Tür hindurch konnte er das gewaltige Kruzifix an der hinteren Wand und den erhöhten Altar sehen. Dieser heiligste Teil der Kirche kam ihm plötzlich erschreckend fremd vor, so als sähe er ihn zum erstenmal in seinem Leben mit
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