Schwarzer Mond: Roman
Schnee. Nachmittags würden die ersten einzelnen Schneeflocken fallen, und am frühen Abend würde das grimmige Gesicht der Großstadt zeitweilig unter dem weißen Make-up verborgen sein. In der ganzen Stadt würde abends der Sturm das wichtigste Gesprächsthema sein, in der Gold Coast ebenso wie in den Slumvierteln. Überall -mit Ausnahme der Kirchengemeinde St. Bernadette, wo in den römischkatholischen Familien immer noch über Vater Brendan Cronins schockierende Tat während der Frühmesse dieses Morgens gesprochen werden würde.
Vater Cronin stand um fünf Uhr dreißig auf, betete, duschte, rasierte sich, zog eine Soutane an, setzte sein Birett auf, nahm sein Brevier und verließ das Pfarrhaus ohne Mantel. Auf der hinteren Veranda blieb er einen Augenblick stehen und atmete begierig die frische Dezemberluft ein.
Er war dreißig Jahre alt, aber mit seinen offenen grünen Augen, den krausen rotbraunen Haaren und dem sommersprossigen Gesicht sah er jünger aus. Er hatte fünfzig oder sechzig Pfund Übergewicht, obwohl er um die Taille herum nicht einmal besonders dick war. Das Fett verteilte sich bei ihm gleichmäßig auf alle Körperteile - auf Gesicht, Arme, Rumpf und Beine. Der Spitzname >Pudge< - >Dickerchen< -hatte ihn durch die Schulzeit und durch das College begleitet und war ihm sogar bis zu seinem zweiten Jahr im Priesterseminar erhalten geblieben.
In welcher emotionalen Verfassung Vater Cronin in Wirklichkeit auch sein mochte - rein äußerlich machte er so gut wie immer einen glücklichen Eindruck. Sein rundes Gesicht, das von Natur aus engelhaft wirkte, konnte starke Gefühle wie Zorn, Schwermut oder Kummer nicht widerspiegeln. Auch an diesem Morgen sah er ziemlich zufrieden mit sich und der Welt aus, obwohl er tief bekümmert war.
Er durchquerte den Hof auf einem schmalen gepflasterten Pfad zwischen umgegrabenen Blumenbeeten, deren Erde zu Klumpen gefroren war. Er schloss die Tür der Sakristei auf und trat ein. Weihrauch und Lavendel vermischten sich mit dem Geruch nach Zitronenöl-Möbelpolitur, mit der die Eichentäfelung, die Bänke und die anderen Holzgegenstände der alten Kirche gepflegt wurden.
Ohne die Lampen einzuschalten, kniete Vater Cronin im rubinrot flackernden Schein des ewigen Lichtes auf dem Betschemel nieder und neigte sein Haupt. In stillem Gebet bat er den Himmlischen Vater, ihn zu einem würdigen Priester zu machen.
Früher hatte diese innere Sammlung vor der Ankunft des Küsters und des Ministranten seine Seele stets erhoben, und tiefe Freude hatte ihn erfüllt, weil es ihm gleich vergönnt sein würde, die Messe zu zelebrieren. Aber jetzt - wie an fast jedem Morgen der letzten vier Monate -empfand er nicht das geringste Glücksgefühl, sondern nur bleierne Öde, eine Leere, die seinem Herzen dumpfe Schmerzen bereitete und ein kaltes Zittern in seinem Magen hervorrief.
Er biss knirschend die Zähne zusammen, so als wollte er sich in den Zustand einer geistlichen Ekstase zwingen, er wiederholte seine Gebete, fügte neue hinzu, aber er blieb unberührt, teilnahmslos.
Nachdem er seine Hände gewaschen und >Da Domine< gemurmelt hatte, legte Vater Cronin sein Birett auf den Betschemel und ging zum Ankleidetisch, um seine Gewänder für die heilige Handlung anzulegen. Er war ein sensibler Mann mit der Seele eines Künstlers, und in der Schönheit der erhabenen Zeremonie sah er ein Abbild der göttlichen Ordnung, einen Fingerzeig für Gottes Gnade. Wenn er sich das Humerale um die Schultern legte, wenn er die weiße Albe zurechtzog, damit sie in gleichmäßigen Falten bis zu den Fußknöcheln fiel, hatte ihn gewöhnlich ein Schauer der Ehrfurcht ergriffen, Ehrfurcht darüber, dass er, Brendan Cronin, zu diesem heiligen Dienst berufen war.
Gewöhnlich. Aber nicht heute. Und schon seit Wochen nicht mehr.
Vater Cronin legte das Schultertuch an, führte die Bänder um den Rücken herum und band sie auf der Brust zusammen. Er streifte die Albe über den Kopf, ohne jede innere Beteiligung, wie ein Schweißer, der in der Fabrik in seine Arbeitskleidung schlüpft.
Vor vier Monaten, Anfang August, hatte Vater Brendan Cronin begonnen, seinen Glauben zu verlieren. Eine sehr kleine, aber gnadenlose Flamme des Zweifels brannte unlöschbar in ihm und verzehrte ganz allmählich all seine alten Überzeugungen.
Der Verlust des Glaubens ist für jeden Priester etwas Verheerendes. Aber für Brendan Cronin war es noch schlimmer, als es für die meisten anderen gewesen wäre. Er hatte niemals
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