Schwarzer Mond: Roman
Navy-Parka fiel ihm direkt in die Arme. Brendan sah Blut, aber nicht allzu viel. Der Fremde war bei Bewusstsein, allerdings einer Ohnmacht bedenklich nahe; sein Blick war verschwommen.
Brendan zog ihn vollends aus dem Jeep und legte ihn vorsichtig auf den Rücken in den Schnee.
Ein Soldat packte Brendan bei der Schulter, und er wirbelte herum und brüllte ihm ins Gesicht: »Lass mich in Ruhe, du verdammter Schweinehund! Ich werde ihn heilen! Ich werde ihn heilen!« Und dann stieß er einen so derben, unflätigen Fluch aus, dass er selbst erstaunt war, so etwas über die Lippen gebracht zu haben. Der Soldat geriet in Wut und holte mit seinem Maschinengewehr aus, um mit dem Kolben in Brendans Gesicht zu schlagen.
»Warten Sie!« schrie Falkirk und fiel dem Mann in den Arm.
Dann wandte er sich Brendan zu und musterte ihn aus Augen, die wie glänzende Feuersteine aussahen. »Los, heilen Sie ihn! Ich möchte das sehen. Ich will selbst sehen, wie Sie sich belasten!«
»Belasten?« fragte Brendan verwirrt. »Wovon sprechen Sie?«
»Los!« herrschte ihn der Colonel an.
Brendan kniete sofort neben dem verwundeten Mann nieder und öffnete dessen Parka. Der Sweater war an zwei Stellen blutgetränkt: direkt unterhalb der linken Schulter und wenige Zentimeter über der Gürtellinie auf der rechten Seite. Brendan rollte den Sweater hoch und riss sodann das Hemd auf. Er legte seine Hände zuerst auf die Wunde dicht über der Taille, weil es die schlimmere von beiden zu sein schien. Er wusste nicht, was er als nächstes tun sollte. Er konnte sich nicht erinnern, was er gedacht oder gefühlt hatte, als er Emmy und Winton geheilt hatte.
Wodurch wurde die Heilkraft ausgelöst? Er kniete im Schnee, fühlte, wie das Blut des Fremden über seine Finger rann, war sich qualvoll bewusst, dass damit auch das Leben des Mannes verrann, vermochte aber die wundersame Heilkraft nicht auszuüben, obwohl er wusste, dass er sie besaß. Seine Frustration steigerte sich zu rasendem Zorn über seine Unfähigkeit und Dummheit, über die Ungerechtigkeit des Todes, dieses Todes im besonderen und jeden Todes im allgemeinen ...
Ein Prickeln. In jeder Handfläche.
Er wusste, dass die roten Ringe wieder aufgetaucht waren, aber er nahm seine Hände nicht von dem Verwundeten, um die Male zu betrachten.
Bitte, dachte er verzweifelt, bitte lass es geschehen, lass die Heilung gelingen, bitte!
Erstaunlicherweise spürte Brendan jetzt zum erstenmal, wie die mysteriöse Energie von ihm in den verletzten Fremden strömte. Sie bildete sich in seinem Innern und ging dann von ihm aus, so als wäre er ein Spinnrad, die rätselhafte Kraft der Spinnfaden und der Verwundete die Spindel, auf die diese Kraft sich aufrollte. Aber Brendan entsprach nicht einem Gerät, das einen einzigen dünnen Faden erzeugen konnte; er fühlte, wie sich in seinem Innern Tausende und Abertausende von Spinnrädern mit rasender Geschwindigkeit drehten und Tausende und Abertausende unsichtbare, nicht materielle -aber unglaublich starke - Fäden erzeugten.
Er war aber auch ein Webstuhl, denn irgendwie vermochte er aus den unzähligen Fäden gottähnlicher Macht ein Tuch des Lebens zu weben. Anders als bei Emmy und Winton, die er geheilt hatte, ohne sich dessen bewusst zu sein, spürte Brendan nun deutlich, wie er das zerrissene Gewebe des angeschossenen Fremden verknüpfte. Er glaubte fast, das Klappern der Tritte zu hören, den Ladenanschlag, das Klirren des Weberschiffchens.
Aber er war sich seiner Kraft nicht nur erstmals bewusst, sondern er spürte auch, dass sie zugenommen hatte, dass er jetzt als Heiler um ein Vielfaches besser war als bei Wintons Rettung
-und dass er morgen doppelt so gut wie heute sein würde. Innerhalb von Sekunden klärte sich der Blick des Fremden. Und als Brendan seine Hände von der Wunde nahm, wurde er mit einem Anblick belohnt, der ihm den Atem raubte und ihn überglücklich machte. Die Blutung war völlig zum Stillstand gekommen. Noch überwältigter war er jedoch, als er sah, wie die Kugel aus dem Körper des Mannes hervorschoss, die Eintrittswunde passierte und nass glänzend auf den Bauch des Opfers rollte, und wie sich das tiefe Loch schon im nächsten Moment zu schließen begann, so als beobachte er nicht den wirklichen Heilungsprozess einer Wunde, sondern einen Zeitrafferfilm über diesen Vorgang.
Er berührte rasch die Wunde an der Schulter des Mannes und fühlte sofort, wie die zweite Kugel, die nicht so tief eingedrungen war wie die erste, aus
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