Schwarzer Mond: Roman
zu stehen, hinter der sich der Sinn des Lebens verbarg, einer Tür, zu der sie plötzlich den Schlüssel besaß.
»Es landete auf der Ebene jenseits der I-80«, fuhr Sandy fort, »an jener Stelle, die für einige von uns seitdem etwas Besonderes hatte, wenn wir den Grund dafür auch nicht kannten. Die Jets brausten dicht daran vorbei. Und wir alle aus dem Motel und aus der Imbissstube mussten einfach dorthin; nichts hätte uns zurückhalten können, mein Gott, nichts und niemand hätte uns zurückhalten können! Wir drängten uns in Autos zusammen und fuhren los ...«
»Faye und ich fuhren mit unserem Lieferwagen«, sagte Ernie aus der Dunkelheit heraus; er atmete jetzt nicht mehr keuchend durch die Intensität der Erinnerung war seine Nyctophobie wie weggeblasen. »Dom und Ginger fuhren mit uns, und jener professionelle Spieler aus Reno - Zebediah Lomack. Deshalb hat er auch unsere Namen auf die Mondposter in seinem Haus geschrieben, von denen Dom uns erzählt hat. Die Erinnerung daran, wie er mit uns zum Raumschiff gefahren war, muss seine Gedächtnisblockade fast durchbrochen haben.«
»Und Jorja«, fuhr Sandy fort, »du und dein Mann und Marcie und zwei andere Leute stiegen hinten in unseren Lieferwagen. Brendan, Jack und andere fuhren in PKWs; wildfremde Menschen rückten in den Autos eng zusammen, aber irgendwie waren wir uns plötzlich nicht mehr fremd. Als wir jene Stelle erreichten, parkten wir alle am Randstreifen, und auf der Fahrbahn in Gegenrichtung hielten einige Autos, die von Elko kamen, und die Insassen rannten über die Straße und über den Grünstreifen, und wir standen alle einen Augenblick da und starrten vom Straßenrand auf das Raumschiff. Der grelle Lichtschein, von dem es umgeben gewesen war, wurde schwächer, aber es ... es ging immer noch ein Leuchten davon aus, nicht mehr rot, sondern bernsteinfarben. Es hatte, als es auf der Erde aufsetzte, einige Büsche und etwas Gras in Brand gesetzt, aber als wir hinkamen, glimmte es nur noch. Es war eigenartig, wie wir alle dort am Straßenrand standen ... es gab kein aufgeregtes Geschrei, wir standen schweigend da, ganz still. Zögernd. Wir wussten, dass wir ... dass wir auf einem Felsen standen, und dass ... dass der Sprung von diesem Felsen nicht in die Tiefe führen würde, sondern ... in die Höhe empor. Ich kann dieses Gefühl nicht in Worte fassen, aber ihr wisst, was ich meine. Ihr wisst es selbst.«
Jorja wusste es. Sie fühlte es jetzt, so wie sie es damals gefühlt hatte -das schier unerträglich erhebende Gefühl, dass die Menschheit in einem dunklen Kasten gelebt hatte, dessen Deckel jetzt endlich aufgerissen worden war. Das Gefühl, dass die Nacht nie wieder so dunkel und bedrohlich, dass die Zukunft nie wieder so erschreckend sein würde wie bisher.
»Und als ich so dastand«, sagte Sandy, »und auf dieses leuchtende Raumschiff starrte, das dort auf der Ebene stand, so schön und doch so völlig unglaublich - da kam mir alles, was mir als Kind angetan worden war, plötzlich nicht mehr so wichtig vor. Und schlagartig fiel auch die Angst vor meinem Vater von mir ab, einfach so.«
Sie schnippte im Dunkeln mit den Fingern, und ihre Stimme schwankte vor Erschütterung.
»Ich meine, ich hatte ihn nicht mehr gesehen, seit ich vierzehn war, länger als zehn Jahre, aber ich hatte immer noch mit der Angst gelebt, dass er eines Tages plötzlich wieder auftauchen würde, dass er mich zwingen würde, mit ihm zu gehen. Das war ... das war natürlich dumm von mir ... aber ich lebte immer mit dieser Angst, denn das Leben war ein Alptraum für mich gewesen, und in Alpträumen geschehen solche Dinge. Aber als ich dort stand und das Raumschiff betrachtete und alle um mich herum ganz still waren und nur die Jets am Nachthimmel kreisten, da wusste ich, dass ich nie wieder Angst vor meinem Vater haben würde, selbst wenn er eines Tages tatsächlich auftauchen würde, weil er nämlich ein Nichts ist, ein Nichts, nur ein perverser kleiner Mann, ein winziges Sandkorn auf dem größten Strand, den man sich überhaupt vorstellen kann ...«
Ja, dachte Jorja, erfüllt von der gleichen Freude wie Sandy. Ja, das war es, was dieses Raumschiff bedeutete - Befreiung von unseren schlimmsten Ängsten. Obwohl die Insassen dieses Raumschiffs vielleicht auch keine Antworten auf die quälenden Fragen der Menschheit mitbrachten, so war doch allein schon die Existenz dieser außerirdischen Geschöpfe in gewisser Weise Antwort genug.
Sandys Stimme zitterte, und sie
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