Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)
Postmartin. »Ohne Zweifel werden Sie es noch weit bringen. Wie Sie richtig vermuten, sind die Worte selbst irrelevant, aber die Seitenzahlen, als reine Ziffernfolge aneinandergereiht, ergeben eine spezifischeIdentifikationsnummer. Welche wir in unseren ehrwürdigen Freund hier eingeben können, und
voilà
…«
Auf dem Bildschirm des PCW erschien ein hässlicher grüner Text – Titel, Autor, Verlag, Magazinnummer und eine kurze Liste aller Personen, die das Buch jemals ausgeliehen hatten.
Als Letzter stand da ein gewisser Geoffrey Wheatcroft. Er hatte das Buch im Juli 1941 entliehen und nie zurückgebracht.
»Oh«, sagte Postmartin überrascht. »Geoffrey Wheatcroft? Den würde ich kaum als ruchlosen Zeitgenossen bezeichnen. Gar kein typischer krimineller Typus, stimmt’s, Thomas?«
»Sie kennen ihn?«, fragte ich.
»Ich
kannte
ihn. Er ist letztes Jahr gestorben. Thomas und ich waren bei der Beerdigung, wobei Thomas sich als sein eigener Sohn ausgeben musste, damit niemand sich wunderte.«
»Es ist schon zwei Jahre her«, warf Nightingale ein.
»Meine Güte, wirklich? Ich weiß noch, es war nur eine Handvoll Leute da.«
»War er ein aktiver Praktizierender?«, fragte ich.
»Nein«, sagte Nightingale. »Seinen Stab erhielt er 1939, galt aber nie als besonders talentiert. Nach dem Krieg wandte er sich von der Kunst ab und nahm einen Lehrauftrag am Magdalen College an.«
»Theologie, ausgerechnet«, sagte Postmartin.
»Magdalen College?«, fragte ich nach.
»Ja«, sagte Nightingale und stutzte plötzlich.
Ich kam zuerst darauf. »Da war auch Jason Dunlop.«
Nightingale wollte sofort zum Magdalen College, aber Postmartin schlug vor, erst noch im Eagle and Child zu Mittag zu essen. Ich hielt eine kurze Verschnaufpause für eine gute Idee, denn Nightingale saß ziemlich zusammengekrümmt da und wirkte, um ehrlich zu sein, nicht gerade wie das blühende Leben. Schließlich einigten wir uns darauf, dass Nightingale rasch mit dem Auto ins College fahren würde und wir uns danach im Pub treffen würden. Postmartin lud mich ein, gemeinsam mit ihm zu Fuß zu gehen, so dass er mir auf dem Weg noch einiges erklären konnte.
»Halten Sie das wirklich für nötig?«, fragte Nightingale.
»Ich glaube schon.«
»Verstehe«, sagte Nightingale. »Nun, wenn Sie meinen …«
Postmartin beteuerte, er betrachte es als absolut unerlässlich. Wir gingen zu dritt zurück zum Auto, wo ich ihm Toby vorstellte, der in einer aparten Geruchswolke aus dem Wagen hüpfte. »Ah, der berühmte Geisterjagdhund«, sagte Postmartin.
»Ist er berühmt? Wusste ich gar nicht.«
Dann fuhr Nightingale mit Toby im Jaguar davon, und mich geleitete Postmartin durch eine extrem authentische spätmittelalterliche Gasse, in deren Mitte sogar noch eine steinerne Abflussrinne verlief. »Natürlich wird sie nicht mehr für ihren ursprünglichen Zweck genutzt«, sagte Postmartin. In der Gasse wimmelte es von Studenten und Touristen, die sich nach Kräften bemühten, die vielen Radfahrer zu ignorieren, die wiederum ihr Bestes taten, alles, was sich ihnen in den Weg stellte, schwungvoll niederzumähen.
Ich fragte Postmartin, welche Rolle er in dem verschlungenen Netzwerk größtenteils ungeschriebener Abmachungen innehatte, aus denen die magische Rechtspflege Englands zu bestehen schien.
»Wenn Sie oder Nightingale Berichte schreiben, bin ich derjenige, der sie liest. Wenigstens die relevanten Abschnitte.«
»Sind Sie so was wie Nightingales Chef?«
Postmartin schmunzelte. »Nein. Ich bin der Archivar. Ich hüte die Schriften des großen Mannes und all jener Geringeren, die in seiner Nachfolge standen – auch von Nightingale und Ihnen.«
Nach so viel Geschichtsträchtigkeit war es eine richtige Erleichterung, in der Broad Street anzukommen, wo es wenigstens ein paar viktorianische Reihenhäuser und einen Oxfam-Shop gab.
»Hier entlang«, dirigierte Postmartin.
»Newton war doch in Cambridge«, sagte ich. »Warum sind seine Schriften hier?«
»Aus demselben Grund, warum man dort seine alchimistischen Werke nicht wollte. Kaum dass er endlich tot und begraben war, wurde der gute Isaac zum strahlenden Leitstern der Wissenschaft und Vernunft – ich bin sicher, man wollte dieses Bild von ihm nicht durch seine wahre, ehrlich gesagt bestenfalls komplexe Persönlichkeit verkomplizieren.«
Oxford blieb bis auf wenige Ausbrüche georgianischen Überschwangs weiterhin beharrlich der Tudor-Ära verpflichtet, bis wir den Eagle and Child
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