Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)
meisten Überlebenden wären inzwischen sehr alt.«
»Was ist mit anderen Ländern?«
»Keine der Kontinentalmächte ging unversehrt aus dem Krieg hervor. Die Nazis trieben alle Praktizierenden in den besetzten Ländern zusammen und töteten jeden, der sich nicht für sie einspannen lassen wollte. Diejenigen, die nicht auf ihrer Seite starben, starben zum größten Teil im Kampf gegen sie; dasselbe gilt für Frankreich und Italien. Was Skandinavien angeht, wurde immer vermutet, dass es da eine Tradition gab, aber die hielt sich sehr bedeckt.«
»Und die Amerikaner?«
»Von dort kamen schon zu Kriegsbeginn einige Freiwillige. Die Tugendhaften nannten sie sich, von der University of Pennsylvania.« In den Jahren nach Pearl Harbor waren noch andere hinzugekommen. Nightingale hatte immer den Eindruck gehabt, dass zwischen ihnen und den Tugendhaften tiefe Feindschaft herrschte. Er bezweifelte, dass jemand von ihnen nach dem Krieg noch einmal nach Großbritannien gekommen war. »Sie gaben uns die Schuld an Ettersberg«, sagte er. »Und wir hatten eine Abmachung.«
»Ja, natürlich.« Es gab immer eine Abmachung.
Nightingale behauptete, er hätte es gemerkt, wenn ein Amerikaner angefangen hätte, in London zu zaubern. »Sie waren nicht gerade das, was man subtil nennt.«
Ich fragte nach anderen Ländern – China, Russland, Indien, dem Nahen Osten, Afrika. Es kam mir unwahrscheinlichvor, dass es dort nicht irgendeine Art von Magie geben sollte. Nightingale räumte ein, dass er es nicht wusste, und sah wenigstens etwas beschämt drein.
»Vor dem Krieg war die Welt noch anders. Wir hatten keinen so atemberaubend schnellen Zugang zu Informationen wie Ihre Generation. Die Welt war größer, geheimnisvoller. Wir träumten noch von geheimen Schätzen auf dem Mond und von der Tigerjagd im Punjab.«
Damals, als es auf den Landkarten noch von Drachen wimmelte, dachte ich. Als jeder Junge glaubte, da draußen warte sein ganz persönliches Abenteuer, und Mädchen noch nicht erfunden waren.
Toby brach in begeistertes Bellen aus, als wir einen riesigen Transporter überholten, der ziemlich viel Irgendwas nach irgendwohin brachte.
»Nach dem Krieg war es, als erwachte ich aus einem Traum«, sagte Nightingale. »Plötzlich gab es Raketen und Jumbojets und Computer, und es schien eine ganz natürliche Entwicklung, dass die Magie verschwinden würde.«
»Sie meinen, Sie haben sich nicht die Mühe gemacht, zu suchen.«
»Es gab nur noch mich. Und ich war verantwortlich für ganz London und den Südosten. Mir kam nie der Gedanke, dass die alten Zeiten zurückkehren könnten. Außerdem haben wir Dunlops Bücher, wir wissen also, dass sein Lehrer keiner ausländischen Tradition angehörte – er war ein schwarzer Magier aus England.«
»Sie dürfen zu so jemandem nicht schwarzer Magier sagen.«
»Sie verstehen, dass schwarz hier rein metaphorisch gemeint ist?«
»Egal«, beharrte ich. »Wörter können ihre Bedeutung ändern, oder? Manche Leute würden mich als schwarzen Magier bezeichnen.«
»Sie sind kein Magier. Sie sind höchstens ein Lehrling, wenn überhaupt.«
»Sie lenken vom Thema ab.«
»Wie sollen wir sie also nennen?«, fragte er geduldig.
»Ethisch fragwürdige Magieanwender?«
»Rein aus Neugier«, sagte er, »in Anbetracht dessen, dass Sie, Dr. Walid und ich die einzigen Personen sind, die jemals hören werden, dass wir die Worte
schwarzer Magier
sagen, warum ist es Ihnen so wichtig, dass wir das nicht tun?«
»Weil ich nicht glaube, dass die alte Welt so bald zurückkehrt. Tatsächlich hab ich eher das Gefühl, dass eine neue Welt im Anmarsch ist, auf die wir uns einstellen müssen.«
Oxford ist ein seltsamer Ort. Wenn man durch die Außenbezirke geht, könnte es jede beliebige englische Stadt sein, genau die gleiche edwardianische Vorstadtarchitektur mit fließenden Übergängen zum Viktorianismus, dazwischen gelegentlich eine Entgleisung aus den 1950ern. Und dann überquert man die Magdalen Bridge und steht auf einmal mitten in der größten Ansammlung mittelalterlicher Architektur jenseits des 18. Jahrhunderts. Historisch gesehen ist das beeindruckend, aber vom verkehrstechnischen Standpunkt aus bedeutete es, dass wir für den Weg durch die engen Straßen fast noch einmal so lange brauchten wie für die ganze Strecke von London hierher.
John Radcliffe, königlicher Leibarzt von William undMary, war zu seiner Zeit bekannt dafür, dass er sehr wenig las und so gut wie nichts schrieb.
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