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Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)

Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)

Titel: Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Aaronovitch
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sagte er, »sind unsere in Ehren gehaltenen Toten.« Er führte mich zur dextren Treppe und ließ sein Werlicht nach oben in die Höhe der ersten Zeilen steigen. »Der amerikanische Bürgerkrieg«, sagte er. Es waren eine Handvoll Namen. »Waterloo.« Hier stand nur ein einziger. Im Krimkrieg war ein halbes Dutzend gefallen, zwei im indischen Sepoy-Aufstand, in verschiedenen anderen Kolonialkriegen des 19.   Jahrhunderts vielleicht zwanzig, insgesamt etwas mehr als die knapp zwanzig Toten des Ersten Weltkriegs. »Da hatten wir eine Abmachung mit den Deutschen, keine Magie einzusetzen«, erklärte Nightingale. »Den haben wir ausgesessen.«
    »Ich wette, damit haben Sie sich echt beliebt gemacht.«
    Im Schein des Werlichts kamen die ersten Namen des Zweiten Weltkriegs in Sicht. »Schauen Sie, da ist Horace.« Der Lichtschein schwebte zur Inschrift HORACE GREENWAY, KASTELLI, 21.   MAI 1941. »Und da sind Sandy und Champers und Pascal.« Das Werlicht zuckte über die dichtgedrängten Zeilen der Namen, die Orte daneben wie Tobruk oder Arnheim kamen mir aus dem Geschichtsunterricht vage bekannt vor. Aber hinter den meisten stand ein Ort namens Ettersberg und das Datum 19.   Januar 1945.
    Ich stellte den Müllsack ab und erschuf ein Werlicht, das hell genug war, um den ganzen Raum auszuleuchten. Die Gedenkliste erstreckte sich über zwei Wände von ganz oben bis ganz unten. Es mussten Tausende Namen sein.
    »Da ist Donny Shanks. Hatte die Belagerung von Leningrad ohne einen Kratzer überstanden, und dann hat ihn ein Torpedo erwischt   … und Smithy in Dieppe und Rupert Dance, Dance das Faultier nannten wir ihn   …« Nightingale verstummte. Ich drehte mich zu ihm um. Auf seinen Wangen glitzerte es. Rasch sah ich wieder weg.
    »Manchmal scheint es so unendlich lange her zu sein, und dann wieder   …«
    »Wie viele?«, fragte ich, bevor ich es mir verkneifen konnte.
    »Zweitausenddreihundertsechsundneunzig. Drei Fünftel aller britischen Magier im wehrfähigen Alter. Und viele überlebten schwer verwundet oder in so schlechter psychischer Verfassung, dass sie nie wieder praktizierten.« Er machte eine Geste, und das Werlicht sank in seine Handfläche zurück. »Zeit, in die Gegenwart zurückzukehren.«
    Ich ließ mein Licht erlöschen und hievte mir den Müllsack wieder über die Schulter. Beim Gehen fragte ich, wer die Namen dort verewigt hatte.
    »Ich«, sagte Nightingale. »Im Hospital wurde man ermuntert, sich ein Hobby zu suchen. Ich wählte Holzschnitzerei. Ohne ihnen zu sagen, warum.«
    »Weshalb nicht?«
    Mit eingezogenem Kopf tauchten wir in die Dienstbotengänge ein. »Weil die Ärzte ohnehin der Meinung waren, ich sei zu morbide.«
    »Warum haben Sie das mit den Namen gemacht?«
    »Oh, irgendjemand musste es tun, und soweit ich wusste, war ich der Einzige, der noch aktiv war. Außerdem hatte ich die lächerliche Hoffnung, dass es helfen könnte.«
    »Und, hat es?«
    »Nein«, sagte er. »Nicht sehr.«
    Wir traten durch die Nachtpforte hinaus und blinzelten in das helle Licht. Ich hatte schon ganz vergessen gehabt, dass es draußen noch Tag war. Nightingale zog die Tür hinter uns zu und folgte mir die Stufen hinauf. Toby hatte sich auf der sonnenwarmen Motorhaube des Jaguar zum Schlafen zusammengerollt. Rings um ihn sah man die Spuren seiner schlammverschmierten Pfoten. Nightingale runzelte die Stirn.
    »Warum haben wir eigentlich diesen Hund?«
    »Er hält Molly bei Laune.« Ich warf den Sack mit den Karten in den Kofferraum. Vom Geräusch der Klappe wachte Toby auf und sprang ohne weitere Aufforderung auf den Rücksitz, wo er prompt wieder einschlief. Nightingale und ich schnallten uns an, und ich startete den Wagen. Beim Wenden warf ich einen letzten Blick auf dieblicklosen Fenster der Schule, dann verschwand sie hinter den Bäumen, und wir fuhren in Richtung London.
    Es war schon dunkel, als wir uns in den Rushhour-Verkehr auf der M25 einreihten. Von Osten trieben große graue Regenwolken heran, die ersten Tropfen prasselten schon gegen die Windschutzscheibe. Die altertümliche Lenkung des Jaguar blieb so sicher wie ein Fels in der Brandung, nur die Scheibenwischer waren eine Katastrophe.
    Nightingale starrte während der ganzen Fahrt stumm aus dem Seitenfenster. Ich versuchte nicht, ein Gespräch anzufangen.
    Wir bogen gerade auf den Westway ab, als mein Handy klingelte. Ich schaltete es auf Lautsprecher. Es war Ash.
    »Ich seh sie«, rief er. Im Hintergrund waren der Lärm vieler Menschen und ein

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