Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)
sagte sie. »Sie war es einmal, und zufällig warte ich momentan darauf, dass ich sie zurückbekomme. Warum?«
»Es hat mit einer laufenden Ermittlung zu tun. Kennen Sie vielleicht einen Mann namens Cyrus Wilkinson?«
»Das ist mein Verlobter.« Sie sah mich scharf an. »Ist ihm etwas passiert?«
Es gibt vom Polizeiverband abgesegnete Richtlinien, wie man Angehörigen schlechte Neuigkeiten beibringt, und dazu gehört nicht, mitten auf der Straße damit herauszuplatzen. Ich fragte, ob wir uns nicht kurz ins Auto setzen wollten, aber davon wollte sie nichts wissen.
»Sagen Sie es mir besser gleich.«
»Ich fürchte, ich habe eine schlechte Nachricht für Sie.«
Jeder, der jemals
The Bill
oder
Casualty
gesehen hat, weiß, was das bedeutet. Melinda stolperte einen Schritt zurück, fand ihr Gleichgewicht aber sofort wieder. Fast hätte sie die Fassung verloren, dann konnte ich förmlich sehen, wie alle Emotion hinter die Maske ihres Gesichts zurückgesogen wurde.
»Wann?«
»Vorgestern Nacht«, informierte ich sie. »Herzinfarkt.«
Sie sah mich verständnislos an. »Herzinfarkt?«
»Ich fürchte ja.«
Sie nickte. »Warum sind Sie dann hier?«
Es blieb mir erspart, sie anzulügen, weil in diesem Momentein Taxi vor dem Haus vorfuhr und hupte. Melinda drehte sich um, blickte starr auf die Eingangstür und wurde mit dem Anblick von Simone belohnt, die mit ihren zwei Koffern herauskam. Der Taxifahrer legte ein für seine Zunft untypisches Maß an Ritterlichkeit an den Tag: Er eilte zu Simone, nahm ihr die Koffer ab und lud sie in den Kofferraum, während sie die Haustür abschloss – ein normales und ein Sicherheitsschloss, bemerkte ich.
»Du Schlampe«, rief Melinda.
Simone ging zum Taxi, ohne sie zu beachten, was genau die Wirkung auf Melinda hatte, die zu erwarten war. »Ja, dich meine ich«, schrie sie. »Er ist tot, du Miststück, und du hast es nicht mal für nötig gehalten, mich anzurufen. Das ist
mein
Haus, du fette Kuh.«
Da sah Simone auf. Zuerst schien es, als hätte sie Melinda überhaupt nicht erkannt, aber dann nickte sie geistesabwesend und warf die Hausschlüssel ungefähr in unsere Richtung. Sie landeten vor Melindas Füßen.
Manche Ausraster kann man von weitem kommen sehen, deshalb lag meine Hand um Melindas Oberarm, bevor sie über die Straße rennen und Simone zu Kleinholz verarbeiten konnte. Schließlich muss ich bitte schön die öffentliche Ordnung aufrechterhalten. Für ein so dürres kleines Ding entwickelte Melinda erstaunliche Kräfte, und am Ende musste ich auch die zweite Hand hinzunehmen, während sie über meine Schulter hinweg Zeter und Mordio brüllte.
»Wollen Sie, dass ich Sie festnehme?«, fragte ich. Das ist ein alter Polizeitrick: Wenn man die Leute nur warnt, wird man oft ignoriert, aber sobald man ihnen eine Frage stellt, sind sie gezwungen, darüber nachzudenken. Wennsie sich dann die Folgen klarmachen, beruhigen sie sich fast immer wieder – es sei denn natürlich, sie sind betrunken, bekifft, zwischen vierzehn und einundzwanzig Jahre alt oder kommen aus Glasgow.
Bei Melinda trat der gewünschte Effekt zum Glück ein, und sie hörte fürs Erste auf zu schreien. Das Taxi verschwand, und als ich sicher war, dass sie nicht vor lauter Frust als Nächstes auf mich losgehen würde – das übliche Berufsrisiko –, hob ich die Schlüssel vom Boden auf und drückte sie ihr in die Hand.
»Möchten Sie jemanden anrufen?«, fragte ich. »Jemand, der herkommt und ein bisschen bei Ihnen bleibt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich setze mich einfach noch eine Weile ins Auto. Danke.«
Sie müssen mir nicht danken
. Ich sprach die Floskel nicht aus.
Ich tue nur …
Ja, was tat ich eigentlich gerade? Jedenfalls bezweifelte ich, dass ich an diesem Abend noch etwas Nützliches aus ihr herausbekommen würde, also ließ ich es dabei bewenden.
Manchmal braucht man nach einem langen Arbeitstag unbedingt ein Kebab. Ich kaufte mir eins bei einem Kurden in Vauxhall und setzte mich zum Essen ans Albert Embankment – kein Kebab im Jaguar, lautet eine eiserne Regel. Eine Seite des Embankment hatte in den 1960ern unter einem bedauerlichen Anfall von Modernismus schwer gelitten, aber ich wandte den einförmigen Betonfassaden den Rücken zu und sah stattdessen zu, wie die Sonne die Dächer des Millbank Tower und des Westminster Palace in rote Flammen tauchte. Der Abend war noch warm genugfür kurze Ärmel, und die Stadt klammerte sich an den Sommer wie ein
Weitere Kostenlose Bücher