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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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bemerkten.
    An jeder Kreuzung musste Melchior sich neu orientieren. Auch nach einer Woche, die sie inzwischen in Rottweil wohnte, ähnelten sich die Gassen und Straßen immer noch sehr. Besonders jetzt am Abend, wenn die Stadt im glitzernden Licht ganz anders aussah als noch tagsüber. Lediglich der alles überragende Kapellenturm, der mit orangefarbenem Licht angestrahlt wurde, bot eine gewisse Orientierungshilfe. Grob folgte sie der Richtung, in der sie ihre Pension vermutete. Nicht nur einmal musste sie wieder umkehren und einen neuen Weg einschlagen, weil sich dieser als Sackgasse oder grundsätzlich falsch erwies.
    Weiter stadtauswärts ließ der Verkehr nach, und es gab kaum noch geräumte Gehwege. Vergeblich hielt sie Ausschau nach der Leuchtreklame der Shell-Tankstelle. Obwohl sie bereits seit einer Viertelstunde unterwegs war, hatte sie vermutlich nicht einmal die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht.
    Mit einem Mal sahen die Gebäude und Straßen vollkommen anders aus als noch zuvor. Dies lag nicht nur an der kaum vorhandenen Beleuchtung, die lediglich aus einer schaukelnden Straßenlaterne hoch über der Kreuzung bestand. Der schwache gelbliche Schein tauchte alles in ein fremdartiges Licht. Nach dem hellen und bunten weihnachtlichen Glanz der Innenstadt eine schier unerträgliche Veränderung. Statt alter, hübscher Bürgerhäuser säumten nun hässliche Wohnblöcke die Straße auf der rechten Seite. Linker Hand, hinter einem halbhohen Gebüsch, breitete sich eine dunkle Fabrikanlage aus. Die dreispurige Fahrbahn geradeaus führte zur Stadt hinaus. Zwei Wegweiser zeigten zu Zielen, die sie nicht kannte. Etwas weiter dahinter, schon fast in der Dunkelheit, verkündete ein gelbes Ortsschild das Ende der Stadt. Melchior verlangsamte ihren Gang und hielt an der nächsten Kreuzung schließlich ganz an. Sie hatte sich erneut verlaufen. Doch diesmal war es schlimmer. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wo in Rottweil sie sich befand.
    Melchior verfluchte ihre Voreiligkeit. Sie hätte doch besser auf die Streifenwagen warten sollen. Bald eine halbe Stunde irrte sie inzwischen schon durch die Straßen. Mit den Kollegen der Schutzpolizei wäre sie vermutlich schon längst bei Amstetters Wohnung.
    Dann sah sie das Taxi. Es näherte sich von der dreispurigen Ausfallstraße, um über die Kreuzung Richtung Innenstadt weiterzufahren. Ohne nachzudenken sprang Melchior auf die Fahrbahn und riss beide Arme hoch. Das Taxi bremste stark, kam auf der schneebedeckten Straße ins Schleudern und schob sich seitwärts auf sie zu. Ein Hinterrad schlug am Bordstein an und drehte den Wagen wieder in Fahrtrichtung. Immerhin hatte der Aufprall die Geschwindigkeit zusätzlich vermindert. Gleichwohl schlitterte das Taxi weiterhin in ihre Richtung. Aus zehn Metern Entfernung konnte sie den fluchenden Fahrer erkennen, der versuchte, sein Fahrzeug unter Kontrolle zu bringen. Doch auf alle Bremsversuche reagierte es mit wildem Schlingern. Der beigefarbene Mercedes näherte sich unaufhaltsam.
    Melchior hielt sich die Hände schützend vor das Gesicht. Sie ging in die Knie. Wie von selbst spannte sich jeder Muskel in ihrem Körper. Noch eine oder zwei Sekunden und sie würde beiseitespringen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Erneut bremste der Fahrer. Und aus irgendeinem Grund schlingerte der Wagen diesmal nur leicht. Wie in Zeitlupe rutschte das Taxi vorwärts und kam kaum einen Meter vor ihren Knien zum Stehen. Melchior ließ die Arme sinken.
    Es dauerte nur einen kurzen Augenblick, und der Fahrer riss die Tür auf. Lauthals schrie er los: »Sind Sie eigentlich vollkommen verrückt? Ich hätte Sie glatt überfahren können.« Der Schreck stand ihm ins Gesicht geschrieben. Seine semmelblonden Haare und das helle, fast weiße Gesicht bildeten einen scharfen Kontrast zu dem dunklen Schal, den er nur locker um seinen Hals gebunden hatte.
    Melchior wartete, bis ihr Herzschlag sich etwas beruhigte. Immer noch ging ihr Atem viel zu schnell. Sie hielt eine Hand hoch, um den Mann zu beschwichtigen, und kramte mit der anderen in ihrer Jackentasche. Schließlich förderte sie ihren Dienstausweis zutage und hielt ihn dem verdutzten Fahrer vor das Gesicht. »Kriminalpolizei Rottweil«, keuchte sie, setzte ab und holte tief Luft. »Sie bringen mich jetzt in die Lienbergstraße 4.«

EINUNDZWANZIG
    Seltsam unnatürlich posierte die weibliche Gestalt mit den langen blonden Haaren auf dem Sessel. Sie trug einen grau-weiß karierten Hosenanzug mit

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