Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
Vom Netzwerk:
hätte.
    »Hast du sie getötet?« Treidler wurde bewusst, dass Amstetter nicht der war, für den er ihn die ganzen Jahre über gehalten hatte.
    »Nein, sie ist einfach so gestorben. Eines Morgens hat es im Treppenhaus nach Verwesung gerochen. Es kam direkt aus der Wohnung. Aber da war sie schon Wochen tot.«
    »Und wo ist die Leiche jetzt?«
    Amstetter zuckte mit den Achseln. »Vermutlich schon längst verrottet.«
    »Verrottet …?«
    »In die Biotonnen vor dem Haus passt mehr, als du denkst. Das sind Zweihundert-Liter-Kübel. Bereits nach zwei Abholterminen war sie entsorgt.«
    »Du hast ihre Leiche einfach in der Biotonne … entsorgt und anschließend die Wohnung übernommen …?« Treidler wollte nicht glauben, was Amstetter ihm da erzählte.
    »Na und? Schließlich ist ihr Tod wochenlang niemandem aufgefallen. Und außerdem hab ich die Wohnung renoviert. Es hat bestialisch gestunken.«
    »Und das soll niemandem aufgefallen sein?«
    »Nein.« Amstetter schüttelte den Kopf. »Ihre Rente, die Miete und all das andere Zeugs läuft nach wie vor über ihr Bankkonto.«
    »Du bist verrückt – vollkommen verrückt.«
    »Sag so was nicht. Ich bin nicht verrückt.«
    »Natürlich. Oder wie würdest du das Schminken und Anziehen dieser Gummipuppe neben mir in einer fremden Wohnung sonst bezeichnen?«
    Amstetter schnappte nach Luft. »Rede nicht so über sie, du Ignorant.«
    »Wieso? Wer soll das sein?«
    »Sie hilft mir. Sie hilft mir darüber hinweg, dass mich alle viel zu früh allein gelassen haben.« Über sein bleiches Gesicht huschte ein seliges Lächeln. »Manchmal setze ich mich neben sie, in den Sessel, und wir reden miteinander.«
    »Du sprichst mit dieser idiotischen Gummipuppe?«
    »Ich hab gesagt, du sollst nicht so über sie reden.« Amstetter holte aus, und der Pistolenlauf traf Treidler mitten im Gesicht.
    Er schrie vor Schmerz auf. Sofort breitete sich eine warme, metallisch schmeckende Flüssigkeit in seinem Mund aus. Ein Hustenanfall schüttelte ihn, und er spuckte die klebrige Masse aus. Blut rann ihm über Lippen und Kinn. In langen schwarzen Fäden tropfte es auf das T-Shirt. Verzweifelt klammerte er sich an das zerschundene Gesicht im Spiegel. Sein Gesicht. Nicht noch einmal wollte er das Bewusstsein verlieren.
    »Was willst du von mir?«, fragte er. Selbst in seinen Ohren klang seine Stimme brüchig.
    »Wie wäre es mit ein wenig Respekt und ein wenig Anerkennung, dass ich dich befreit habe.«
    »Befreit? Von was denn?« Noch immer klangen seine Worte wie weit entfernt.
    »Ich fürchte, die Wahrheit wird nicht so einfach sein.« Wirr stierte Amstetter in den Spiegel und suchte Treidlers Blick.
    Die Kutte, die Gasflasche, der Draht um seinen Hals. Treidler wusste genau, wie sich Draht anhörte, wenn er durch die Luft schnellte. Ein surrendes Geräusch machte sich in seinem Kopf breit und wiederholte sich andauernd. Es machte ihn wahnsinnig. »Lisa …?«, murmelte er heiser.
    Amstetter nickte mitleidslos.
    »Was hast du getan, du verfluchtes Schwein? Du warst es, du hast sie getötet.« Treidler ballte die Fäuste, bäumte sich auf. Doch mit einem Mal wollte er nicht mehr wissen, was Amstetter zu sagen hatte. Er sank zurück und schloss die Augen. Sei still. Sag es nicht. Sag nicht, was du befürchtest.
    »Es hätte ja gereicht, die Brut in ihrem Bauch zu vernichten. Aber du bist zu früh nach Hause gekommen. Ich musste dich niederschlagen. Ich hab mir diesen Tag ausgesucht, weil ich dachte, dass du die Nacht über mit deiner Ex rummachst.« Er hob die Schultern, und es schien, als ob er um Verzeihung bitten wollte. »Versteh doch, ich hatte keine andere Wahl – die Zeit hat einfach nicht gereicht.«
    »Warum … warum nur?« Treidler blickte in den Spiegel und sah in Amstetters Gesicht. In das Gesicht eines Mannes, den er bis vor wenigen Minuten noch als seinen besten Freund bezeichnet hätte. Aber auch in ein Gesicht, dass ihm mit einem Mal so fremd vorkam. Doch selbst in dieser wirren Verkleidung erkannte er immer noch den Arbeitskollegen, dem er vertraut hatte. Es schien, als ob Amstetter in einer anderen Welt lebte. Einer Welt, die auch sein Äußeres veränderte. Seine Wangen waren eingefallen, und die dunklen Augen traten aus dem leichenblassen Gesicht hervor wie schwarze Murmeln. Blaue Äderchen schimmerten unter der dünnen Haut an Wange und Lidern. War er das Missbrauchsopfer? War er der Junge mit der Engelsstimme?
    »Dieser verfluchte Quälgeist hätte ihre ganze Liebe in Anspruch

Weitere Kostenlose Bücher