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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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die Treidler andeutete, und nickte. Hinter einer halbhohen Schneemauer, kaum fünfzig Meter entfernt, lag ein kleineres Bauernhaus. Die dunkelbraune Inschrift auf der Fassade des Wirtshauses verkündete: »Zum Löwen«.
    Nach einem kurzen Fußmarsch erreichten die beiden Kommissare eine Treppe, die über ein paar ausgetretene Stufen hinauf zur überdachten Eingangstür führte. Die Ähnlichkeit zu einem Holzverschlag mit nachträglich eingebautem Fenster drängte sich unweigerlich auf.
    »Bitte, nach Ihnen.« Treidler machte eine auffordernde Handbewegung.
    Melchior presste die Lippen zusammen und stapfte an ihm vorbei. Treidler schaute ihr nach und für einen Augenblick blieb sein Blick an ihrem Po hängen. Nach den ersten beiden Treppenstufen sagte sie plötzlich in scharfem Tonfall: »Lassen Sie das!«
    »Was soll ich lassen?«
    »Sie starren mich an.«
    »Tue ich nicht!«
    »Natürlich – Sie glotzen auf meinen Hintern.«
    »Und was ist so schlimm daran?«
    »Dass Sie es sind.«
    »Verflucht noch mal, sind Sie eine eingebildete Zicke. Machen Sie endlich die Tür auf, oder wollen Sie hier draußen warten, bis uns jemand aufmacht?«
    Melchior drückte auf die Klinke, aber die Tür bewegte sich keinen Millimeter. »Sie klemmt.«
    »Ich mach das!« Treidler drängte sich an ihr vorbei. Er betätigte ebenfalls die Klinke, zog und schob. Melchior hatte recht: Die Tür klemmte. Das dunkelgrüne Flaschenglas erschwerte die Sicht nach innen. Er hielt beide Hände an die Augen und versuchte hineinzuschauen. Schemenhaft erkannte er eine Gestalt und hörte eine gedämpfte Stimme aus dem Innenraum: »Anheben!«
    Treidler tat, wie ihm geheißen, und in der Tat, die schwere Holztür machte einen Ruck und sprang auf. Mit einem Krachen schlug sie an der Garderobe an. Die beiden Kommissare traten ein und fanden sich im schummrigen Gastraum wieder. In der Luft hing abgestandener Rauch, der sicher schon seit Dutzenden von Jahren auch als gelbliche Schicht auf den Tapeten klebte. Selbst auf der dunklen Holzdecke konnte Treidler die Nikotinspuren erkennen. Die gesamte Einrichtung der Gaststube hatte schon bessere Tage gesehen: Tische, Stühle und Bänke aus Nussbaumholz stammten aus den sechziger Jahren. Sein Blick fiel auf den speckigen Linoleumboden, in dem sich ein Rautenmuster scheinbar willkürlich wiederholte. Vielleicht lag die seltsame Maserung jedoch nur an den zahllosen Schmutzflecken, die kaum oberflächlich entfernt worden waren. An einigen Stellen konnte er den puren Betonestrich ausmachen.
    Direkt vor ihm baute sich eine mächtige Theke auf. Auch sie glänzte in speckigem, dunklem Holz. Ein gut fünfzigjähriger, fast kahlköpfiger Mann drückte sein Ungetüm von Bauch an das metallene Waschbecken. Er hielt den Kopf gesenkt und schielte über den Rand seiner Hornbrille in Richtung der Ankömmlinge. Parallel dazu tat er das, was Wirte für gewöhnlich taten: Bier zapfen – und zwar eine Menge. Zehn bis zwölf halb volle Gläser reihten sich auf der Theke hintereinander. Und das, obwohl die hässliche kupferfarbene Uhr an der Garderobe gerade mal Viertel nach neun anzeigte und das Wirtshaus keinen gut besuchten Eindruck vermittelte.
    Bei Treidler erzeugte der Geruch des Raumes in Verbindung mit dem Bier vor seinen Augen einen Sinnesreiz, auf den er gern verzichtet hätte. Das elende Gefühl vom Morgen kam zurück. Er schluckte ein paarmal trocken und versuchte, gegen die aufkommende Übelkeit anzukämpfen. Er riss seinen Blick von den Biergläsern los und schaute in die Runde. Neben dem Wirt befanden sich lediglich vier weitere Personen im Gastraum. An einem der Tische, zweifellos der Stammtisch, saßen drei Männer mittleren Alters, die ihren Kopf senkten, als Treidler sie fixierte. Fast zu schnell widmeten sie sich den Spielkarten, die jeder von ihnen in der Hand hielt. An einem kleineren Fenstertisch saß eine ältere Frau, die einen hellen Hut mit breiter Krempe trug. Sie löffelte teilnahmslos eine Suppe. Bei genauerer Betrachtung fand Treidler, dass sie etwas Eigenartiges umgab. Allerdings konnte er im Moment dieses Gefühl nicht genauer beschreiben.
    »Guten Tag«, hörte er Melchiors Stimme neben sich. »Kriminalpolizei Rottweil. Ich bin Hauptkommissarin Carina Melchior und das ist Hauptkommissar Wolfgang Treidler.« Seine Kollegin blickte in die Runde. »Sie können sich sicherlich vorstellen, warum wir hier sind.«
    Statt einer Antwort senkte der Wirt seinen Kopf noch tiefer, verengte dabei die Augen zu

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