Schwarzer Neckar
Schuhe.«
»Weiß nicht«, gab er zurück und schob seine Beine unter das Lenkrad zurück.
Melchior deutete auf den Beutel über ihrer Schulter. »Wo soll ich das hinlegen? In den Kofferraum?«
»Das Schloss ist vermutlich auch zugefroren.« Er wies mit dem Daumen nach hinten. »Auf die Sitzbank.«
Sie warf einen kurzen Blick in den Fond, allerdings nur, um gleich darauf wieder Treidler anzuschauen. »Da war gestern schon kein Platz.«
Er ließ einen Laut des Unmuts folgen. »Geben Sie her«, entgegnete er und nahm ihr die Tasche aus der Hand. Das Gewicht überraschte ihn. Ihr Gepäck wog schwerer, als es aussah. »Was, in Gottes Namen, haben Sie da alles reingepackt? Wollten Sie sich nicht Zeit lassen mit dem Umziehen?«
»Meine Handtasche.«
»Wieso verstauen Sie Ihre Handtasche in einer Reisetasche? Das ist doch völlig unlogisch.« Unsanft landete die Tasche auf der Rücksitzbank zwischen Papierstapeln, fettverschmierten Pizzaverpackungen und halb leeren Plastikflaschen, deren undefinierbarer Inhalt sich in gefrorenem Zustand befand.
»Da gibt es noch einige andere Dinge«, gab sie nach ein paar Augenblicken zu.
»Was, zum Beispiel?«
»Na, was man so braucht bei diesem Wetter.«
»Und, was braucht man so bei diesem Wetter … in Berlin?«
»Schal, Fleecepulli, Ersatzschuhe.«
»Ersatzschuhe? Sie gehen mit zwei Paar Schuhen aus dem Haus? Was soll das?«
»Warum? Haben Sie nur ein einziges Paar Schuhe?«
»Zur gleichen Zeit? Ja, natürlich.«
»So, wie Ihr Schuhwerk aussieht, bestimmt nicht nur zur gleichen Zeit, sondern überhaupt.«
Abermals stieß Treidler einen Laut des Unmuts aus und drehte den Schlüssel im Zündschloss. Aber außer dem gleichförmigen Orgeln des Anlassers geschah nichts.
»Was ist jetzt schon wieder? Auch zugefroren?«, fragte Melchior süffisant.
»Anlasser frieren nicht zu.«
»Trotzdem scheint der Motor nicht starten zu wollen.«
»Ich bewundere Ihren Scharfsinn. Doch wenn Sie endlich mit Reden aufhörten, wär’s einfacher.« Sie brachte es tatsächlich fertig, ihm schon nach einer Minute den letzten Nerv zu rauben. Und vermutlich würde es den Rest des Tages nicht besser werden. Er versuchte, ruhig zu bleiben. »Wenn der Wagen nur eine kurze Strecke gefahren ist und dann abgestellt wird, braucht der Motor eine Weile, bis er anspringt.«
»Warum denn das?«
Es gab Fragen, da konnte Treidler explodieren. Besonders, wenn sie jemand so daherschwatzte und er schon im Voraus wusste, dass der Fragesteller jedes Verständnis für die Antwort missen lassen würde.
Manchmal waren die Dinge einfach so, weil sie eben so waren. Es gab schlicht keine Notwendigkeit, darüber zu diskutieren. Er knurrte: »Sie sind schuld.«
»Warum soll ich schuld daran sein, wenn Ihre alte Karre nicht anspringt?«, empörte sich Melchior.
»Hätten Sie die beschissene Tür allein aufbekommen, hätte ich den Motor nicht ausschalten müssen.«
»Wissen Sie was, Treidler? Sie können mich mal.« Melchior presste die Lippen aufeinander und wandte sich dem Seitenfenster zu.
Er ignorierte ihren Wutausbruch und konzentrierte sich auf ein gefühlvolles Gasgeben. Inzwischen drehte sich der Motor immer wieder ein paarmal mit dem Anlasser mit. Dann begann er zu stottern und startete mit einem heftigen Zittern. Treidler atmete aus, legte den Gang ein und fuhr los.
Schweigend lenkte er das Fahrzeug durch die verschneiten Straßen Rottweils. Trotz der Lage im oberen Neckartal, zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb, reichten die Bürgerhäuser der alten Reichsstadt bis hoch auf sechshundert Meter Meereshöhe. Ein Umstand, der neben angenehmen Sommertemperaturen auch für recht kühle Winter sorgte. In einer um diese Jahreszeit typischen Nordwestströmung bestimmte feuchtkalte und wolkenreiche Luft das Wetter. Ausgiebige Schneefälle im Stau der umliegenden Mittelgebirge waren die Folge. Besonders im spätmittelalterlichen Stadtkern, den schmale Gassen und bunte Fassaden mit Erkern und Stechschildern prägten, herrschte dann eine drangvolle Enge. Oft blieb der Stadtverwaltung nichts anderes übrig, als die Schneemassen mit Schaufelladern auf Lastwagen zu packen und vor die Stadt zu kippen.
»Dieses schwäbische Laugengebäck ist wirklich lecker«, sagte Melchior. Sie versuchte offenbar, so belanglos wie möglich zu klingen.
Treidler sah kurz zu Melchior, die in einer Papiertüte herumkramte. Er wünschte sich den Tag herbei, an dem er wieder allein arbeiten konnte. Schließlich seufzte er:
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