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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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»Brezel.«
    »Bitte?«
    »Das nennt sich Brezel, nicht Laugengebäck.«
    »Ich weiß. So was gibt’s bei uns auch …«
    »Lassen Sie das.«
    »Was lassen?«
    »Essen.«
    »Warum?«
    »Sie krümeln mir den Sitz voll.«
    Melchior schnaubte belustigt. »Als ob es darauf wirklich noch ankommt.«
    »Kommt es. Und außerdem ist essen im Auto verboten.«
    »Seit wann?«
    »Seit gerade eben.«
    Treidler registrierte, wie Melchior zu ihm herüberschielte. Vermutlich wollte sie in Erfahrung bringen, ob er seine Worte scherzhaft gemeint hatte. Doch er stierte weiter regungslos durch die Windschutzscheibe. Statt etwas zu sagen, schob sie die Brezel betont geräuschvoll in die Papiertüte zurück und verstaute sie mit einem mürrischen Gesichtsausdruck in ihrer Manteltasche.
    Wenig später passierten sie die Steinemühlebrücke. Im Flussbett wirbelte das eisige schwarze Wasser des Neckars um die winterlichen Felsen. Die Niederschläge und die Kälte der letzten Tage hatten bizarre Eisgebilde entstehen lassen. Nach einem weiteren, zehnminütigen Kampf mit der schlecht geräumten Fahrbahn erreichten sie schließlich die Autobahn nach Stuttgart. Immerhin hatte die Autobahnmeisterei hier den Schnee so weit zur Seite geschoben, dass der alte Mercedes auf der geschlossenen Schneedecke mit gut achtzig Stundenkilometer vorankam.
    Mit jedem Kilometer, den sie sich ihrem Ziel näherten, besserte sich der Zustand der Straße. Diese zwei- bis dreihundert Meter Höhendifferenz seit Rottweil reichten aus, dass an manchen Stellen die geschlossene Schneedecke aufbrach und der schmutzige Untergrund zum Vorschein kam. Ab Rottenburg war die Autobahn nahezu frei von Schnee. Trotzdem ging es nicht schneller voran. Kaum hatte sich die Verkehrssituation verbessert, trauten sich mehr Autofahrer auf die Straße. Und fanden sich wieder im unvermeidlichen Stau zwischen Herrenberg und dem Stuttgarter Kreuz. Und dieser Stau dauerte lange – sehr lange. Bis weit nach zehn ging es nur noch stockend vorwärts. Erst nachdem sie den Schönbuchtunnel passiert hatten, löste sich die Blechlawine allmählich auf, und Treidlers Mercedes schob sich langsam auf die baden-württembergische Landeshauptstadt zu.
    Stuttgart gehörte zu den Städten, die man entweder lieben oder hassen konnte. Dazwischen gab es nichts. Treidler hatte sich für hassen entschieden. Darüber half auch nicht der Tunnel hinweg, der seit bald zwei Dekaden unter den Außenbezirken hindurch in die Innenstadt führte. Die Betonröhre verbarg lediglich für kurze Zeit die Hässlichkeit der riesigen Wohnblöcke aus der Wirtschaftswunderzeit. Seine Abneigung war schon vor Jahren durch die schier unglaubliche Masse von Fahrzeugen entstanden, die jeden Morgen auf die Stadt zurollten und die Straßen für den Rest des Tages verstopften. Erst am Abend gaben sie die Stadt für die Dauer der Nacht frei. Und er war damals regelmäßig mittendrin gestanden, als er im Zuge eines zweiwöchigen Lehrgangs täglich zwei Stunden hin und zwei Stunden zurück für die Fahrten zwischen der Stuttgarter Innenstadt und Rottweil benötigte.
    Auch heute wälzte sich eine wahre Lawine von Autos die Leonberger Straße hinunter auf den Tunnel Richtung Stadtmitte zu. Von dort aus dauerte es nochmals eine ganze Weile, bis Treidler am Österreichischen Platz die Abzweigung nach Degerloch und anschließend die Mozartstraße fand. Graubraune, riesige Wohnblöcke aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts verdunkelten auf beiden Seiten der Straße den Himmel. Und eines dieser hässlichen Gebäude trug die Nummer 18: die Adresse auf dem Stück Papier, das sie im Pass des Opfers gefunden hatten.
    Im Gegensatz zu den anderen Häusern zeigte dieser Wohnblock jedoch neben der obligatorischen dunklen Bemalung auch eine unerwartete Andeutung von Individualität. Mit hell abgesetzten Steinen an den Ecken und Fensterrahmen in einer ähnlich hell getönten Farbe hob sich das Gebäude mit der Nummer 18 von den anderen ab.
    Treidler steuerte den Wagen langsam die Straße entlang. Am Straßenrand gab es kaum genügend Platz, um ein Zweirad zu parken. An der nächsten Kreuzung drehte er um und stellte den Mercedes kurzerhand auf dem Gehweg ab, der vor der Eingangstür des Gebäudes mit der Nummer 18 knapp drei Meter breit war. Die beiden Kommissare stiegen aus und überprüften die Klingeln. Treidler zählte dreizehn Parteien im Haus. Doch falls überhaupt etwas Lesbares auf den Schildern stand, entdeckte er nirgends den Namen

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