Schwarzer Neckar
erwiderte Sebastian mit einem knappen Schulterzucken und blickte auf die Tischplatte.
»Dir ist an ihr etwas aufgefallen, richtig?«, vermutete Melchior.
Sebastian rutschte einmal auf dem Stuhl bis nach vorn und anschließend wieder zurück, bis sein Rücken an der Lehne anschlug. Schließlich sagte er mit leiser Stimme: »Ja, Sie haben recht, Frau Kommissarin.« Er schaute hoch zu Melchior. Für einen Moment blieben seine Augen an ihren Brüsten hängen.
»Und was ist dir aufgefallen, Sebastian?«, fragte Treidler laut. »Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.«
Statt einer Antwort rutschte Sebastian erneut auf seinem Stuhl hin und her.
»Bua!« Die dunkle Stimme von Martin Flaig traf den Jungen wie ein Schlag. Im breitesten Schwäbisch schimpfte er: »Mach jetzt. Ich han nit da ganz Tag Zeit, do rumz’sitzed.«
Während es Treidler einige Mühe kostete, den Mann zu verstehen, zuckte Sebastian zusammen und erklärte mit stockender Stimme: »Es ist nur …«
»Nur was?« Melchior seufzte. Auch ihre Geduld schien sich allmählich dem Ende zu neigen.
»Sonst sagt Edda immer ›Grüß Gott, Sebastian‹. Aber an dem Morgen hat sie überhaupt nichts gesagt. Sie ist einfach an mir vorbei, obwohl ich sie gegrüßt habe.«
»Begegnest du ihr jeden Morgen, Sebastian?«, fragte Melchior.
Er nickte. »Ja, jeden Morgen um die gleiche Zeit. Aber nie so weit draußen, bei der Bushaltestelle.«
»Wann hast du sie diesen Montag getroffen?«
»Um halb sieben.«
»Und die letzten beiden Tage?«
»Auch um halb sieben. Und sie hat mich auch wieder gegrüßt. Nur nicht am Montag.«
»Was tut sie denn jeden Tag, so früh morgens?«
»Was sie jeden Tag tut?« Sebastian grinste mit einem Mal. Offenbar konnte er sich nicht vorstellen, dass es Menschen gab, die nicht wussten, was Edda morgens um halb sieben tat. »Na das, was sie immer tut.«
»Und was ist das?«
»Milch holen beim Josefsbauer. Das tun all die alten Weiber bei uns. Obwohl es in der Stadt viel billiger ist.«
Melchior hob belustigt die Augenbrauen und schaute zu Treidler. Ihr Gesichtsausdruck verriet, dass auch sie sich spätestens jetzt von der Fortsetzung der Befragung nichts mehr erhoffte.
Treidler stand auf.
»Was ist?«, fragte Elvira Flaig, die offenbar von Treidlers Aufbruch völlig überrascht wurde. Sie schien die einzige Person im Raum zu sein, die das Gespräch gern fortgeführt hätte. »Sind wir schon fertig?«
»Ja, Frau Flaig. Das ist alles. Sie können gehen«, gab Treidler knapp zurück.
Sie und Sebastian erhoben sich von ihren Stühlen, während Martin Flaig sitzen blieb und etwas Unverständliches vor sich hin brummte. Erst nachdem sie ihm einen tadelnden Blick zugeworfen hatte, stand er ebenfalls auf und wandte sich noch immer murrend Richtung Tür.
»Sebastian, warte«, rief Melchior plötzlich. »Was hat sie angehabt?«
»Wer?«
»Edda. Was hat Edda an diesem Morgen angehabt?«
»So einen schwarzen, dicken Filzmantel, wie immer.« Er machte ein verwundertes Gesicht.
»Und darunter?«
»Wie, darunter?« Sebastian musterte Melchior unverhohlen.
»Na, unter ihrem Mantel.«
»Ja, so etwas Buntes hat hervorgeschaut. Vielleicht eine Kittelschürze oder ein Kleid. Aber ich hab’s nicht genau sehen können.«
Melchior nickte nachdenklich. Als sie nichts hinzufügte, löste der Junge widerwillig den Blick und folgte seinen Eltern.
»Das Sommerkleid«, mutmaßte Treidler, nachdem die drei das Zimmer verlassen hatten. »Es ist Ihnen ebenfalls aufgefallen, an diesem Morgen im Wirtshaus.«
Melchior nickte. »Aber sind wir deshalb schlauer?«
»Vielleicht. Immerhin wissen wir jetzt, dass sich Edda am Montag in der Nähe des Tatorts aufgehalten hat. Vier Stunden nach dem Mord.«
Zurück in seinem Büro fand Treidler am Computermonitor eine Notiz von Ursula Lohrmann. Sie hatte lediglich zwei Worte auf dem gelben Klebezettel hinterlassen: »Ballistik anrufen«. Eigentlich hätte sie auch »Kriminaltechnik anrufen« oder gleich »Amstetter anrufen« schreiben können. Denn er war mit seiner Abteilung nicht nur der Herr aller Spuren, sondern zugleich die letzte Instanz der Ballistik, die deren Untersuchung bewertete, um sie danach den entsprechenden Ermittlern weiterzuleiten. Die schlichten Worte versprachen neue Anhaltspunkte in diesem verzwickten Fall.
Treidler nahm den Telefonhörer zur Hand und wählte.
»Wusste ich doch, dass du dich gleich meldest, Wolfes«, begrüßte ihn Amstetter nach dem zweiten Klingeln. »Ich hab
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