Schwarzer Neckar
die Ermittlungen befanden.
»Gibt es schon etwas Neues aus der Ballistik?« Auch Melchior versuchte offenbar, das Gespräch, das so ungewohnt persönlich geworden war, wieder auf ihren Fall zu lenken.
»Nein.«
»Wir sollten systematisch vorgehen. Ich zähle einfach mal auf, was wir haben.« Sie öffnete die Mappe mit den Tatortbildern, fischte zwei heraus und trat an die Pinnwand. Auf die linke Seite, ganz nach oben, heftete sie das Foto des Opfers und darunter eines, auf dem im Hintergrund das Wirtshaus zu erkennen war. Mit einem Filzstift schrieb sie auf ein Stück Papier das Wort »Nowak« und auf ein anderes »Florheim«. Beide heftete sie neben die entsprechenden Fotos und beschrieb vier weitere Blätter. Als sie fertig war, hingen auf beiden Seiten der Pinnwand jeweils drei Blätter untereinander. Links die Zettel mit den Worten »Nowak«, »Florheim« und »Russland« und auf der rechten Seite »Drogen«, »Auftragsmord« und »Russenmafia«.
Sie betrachtete eine Weile ihr Werk, schien damit aber nicht zufrieden. »Vielleicht ist die Lösung viel simpler, als wir annehmen: Die Vory hat den Alten nach Florheim geschickt, um die Drogen zu verticken. Er ist die Unauffälligkeit in Person. Es kam zu einem Streit, und er wurde dabei getötet.«
»Klar, dann ist der ›Löwen‹ der Umschlagplatz, und der dicke Wirt gibt nach dem Bierbrauen den Dealer.« Treidler schüttelte den Kopf. »Drogen in Florheim – das ist Blödsinn. Ich bin mir nicht sicher, ob in dem Kaff überhaupt Leute wohnen, die wissen, dass es außer Alkohol noch etwas anderes gibt, mit dem man sich die Birne vollhauen kann.«
»Sie haben recht. Drogen in Florheim ist wirklich wenig wahrscheinlich. Andere Vorschläge?«
Treidler antwortete nicht, sondern betrachtete Melchiors Zettel. »Da fehlt etwas.« Er nahm ebenfalls ein Stück Papier in die Hand und heftete das leere Blatt genau mittig zwischen die anderen. Mit einem roten Filzstift malte er darauf einen Kreis und in dessen Zentrum ein Hakenkreuz. Er machte einen Schritt zurück und betrachtete sein Werk. »Das Ganze reicht viel weiter in die Vergangenheit zurück, als wir denken.«
»Wie weit? Bis in die Nazizeit, meinen Sie? Wegen der Münze in der Speiseröhre des Toten?«
Treidler zuckte mit den Achseln und ließ seinen Blick zwischen den Zetteln auf der Pinnwand hin- und herwandern.
»Wo ist die Verbindung zwischen dem Toten und der Russenmafia auf der einen Seite sowie Florheim und dem Dritten Reich auf der anderen Seite?«, fragte Melchior leise, als spräche sie zu sich selbst.
»Das ist eine gute Frage, Frau Kollegin.«
Sie verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln. »Deswegen habe ich sie gestellt.«
»Dann muss es wohl eine richtig gute Frage sein.« Kurz erwiderte er ihr Lächeln. »Wenn wir diese Verbindung gefunden haben, sind wir der Lösung einen gewaltigen Schritt näher.«
»Vielleicht halte ich genau diese Verbindung in meinen Händen?« Treidler fuhr herum und blickte Amstetter erstaunt an. Er stand in der Tür und wedelte mit einem Tütchen in der Hand.
»Ernie, bitte!«, rief er ihm zu.
»Was ist denn jetzt schon wieder? Ich wollte euch nur die Münze zeigen, die Karchenberg dem Alten aus dem Rachen geholt hat.«
»Lassen Sie mal sehen«, bat Melchior.
Amstetter legte das Tütchen auf den Tisch. Sofort beugten sich Treidler und Melchior darüber. In der Tat, es handelte sich um die Münze auf dem Foto – obwohl sie ihm jetzt in natura viel größer vorkam. Der Adler, der mit ausgebreiteten Schwingen auf dem Hakenkreuz thronte, war eindeutig wiederzuerkennen.
»Das ist eine alte Fünf-Reichsmark-Münze, geprägt nach 1934. Erst ab diesem Jahr gab es Hakenkreuze auf den Münzen«, erklärte Amstetter in einem Anflug von Stolz. »Dreht sie um. Auf der anderen Seite ist die Garnisonskirche von Potsdam abgebildet. Und dort hat jemand etwas eingeritzt.«
»Schlaumeier, das steht schon im Bericht der Rechtsmedizin. Aber was bedeutet das Gekritzel?«, entgegnete Treidler.
Amstetter schaute ein paarmal zwischen den beiden hin und her, bevor er antwortete: »Obwohl die Buchstaben auf der leeren Fläche neben der Kirche ziemlich groß sind, ist es schwierig, sie zu entziffern. Das ist dermaßen krakelig geschrieben, dass ich so einige Mühe damit hatte …«
»Ernie, bitte die Kurzform«, unterbrach Treidler ihn. »Was genau steht auf der Münze?«
»›Mörder‹ – einfach nur das Wort ›Mörder‹, und zwar in Großbuchstaben.« Er blickte
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