Schwarzer Neckar
da ein paar interessante Informationen zum Projektil. Es ist besser, wenn du sofort vorbeikommst.«
»Gibt’s keinen Bericht?«
»Wenn du zwei Tage warten willst, dann hab ich es auch in gedruckter Form, sogar auf Papier.« Treidler konnte die Ironie in seiner Stimme hören. »Per E-Mail geht ja schlecht. Nach allem, was ich gehört habe, arbeitest du ja noch mit Brieftauben.« Er ließ seinen Worten ein unterdrücktes Lachen folgen.
»Du bist wie immer umwerfend komisch, Ernie«, erwiderte Treidler ebenso spöttisch. »Also, wie wäre es mit einer kurzen Zusammenfassung am Telefon?«
»Nein, das musst du dir anschauen. Vorab kann ich dir allerdings schon sagen: Alles, was die Jungs über das Projektil herausbekommen haben, passt perfekt zu dem Nazischeiß von heute Morgen.«
Damit waren die letzten Zweifel an der Bedeutung der Untersuchungsergebnisse ausgeräumt. Treidler winkte Melchior, ihm zu folgen. Inzwischen verstärkte sich bei ihm der Verdacht, dass sie in die völlig falsche Richtung ermittelten.
Kurze Zeit später standen er, Melchior und Amstetter um einen der zahllosen Tische in der »Rumpelkammer« der Kriminaltechnik. Sie starrten auf zwei Plastiktütchen. Fast den gesamten Rest der Tischplatte nahmen Fotos ein. Sie zeigten Munition, Waffen und – stark vergrößert – einen Reichsadler mit Hakenkreuz auf einem Pistolenschaft.
»Das hier ist das Geschoss, das wir im Wartehäuschen auf dem Boden gefunden haben.« Amstetter hielt eines der beiden Tütchen hoch. Auf den ersten Blick war es leer. Treidler schaute genauer hin. Am Boden erkannte er einen deformierten Metallklumpen von der Größe einer Erdnuss.
»Als ich es das erste Mal in Händen hielt«, fuhr Amstetter fort, »fand ich etwas ziemlich merkwürdig daran.«
»Was denn?«, fragte Melchior, ohne die Augen von dem Metallklumpen zu nehmen.
»Das Gewicht.«
»Wie bitte?« Melchior hob irritiert die Brauen.
»Sie haben richtig verstanden, Frau Melchior: das Gewicht des Geschosses.«
»Was ist denn daran so merkwürdig?«
»Es ist zu leicht.«
»Zu leicht? Wieso das denn? Hat das etwas zu bedeuten?«
»Zum Tod führt das Geschoss auch bei geringem Gewicht.« Amstetter grinste und streckte den Kopf nach vorne, als ob man ihn so besser verstehen könnte. »Aber das haben Sie sicherlich nicht gemeint, oder?«
Melchior schüttelte den Kopf.
»Es gab nur eine Zeit in Deutschland, in der man bei Pistolenmunition am Material gespart hat. Und zwar während des Krieges. Bis auf einen geringen Teil, nämlich dort, wo das Geschoss Berührung mit dem Lauf hatte, wurde damals teures Blei durch Eisen ersetzt. Das Geschossgewicht reduzierte sich dadurch erheblich, aber die ballistischen Eigenschaften blieben einigermaßen gleich.«
»Und das hier ist so eine Kugel?« Treidler beäugte immer noch den winzigen Metallklumpen.
Amstetter nickte. »Ich hab’s geprüft. Die Munition stammt aus dem Zweiten Weltkrieg. Und zwar aus den ersten Jahren. Davor gab es Messinghülsen, und im späteren Verlauf des Krieges bestanden die Geschosse aus Sinter-Eisen. Das Zeugs war ebenfalls billig herzustellen, weil es ein homogenes Gefüge aus Eisenspänen ist, das unter Zuführung von Temperatur und Druck gepresst wurde.«
»Und die Tatwaffe? Ist das so eine Nazipistole wie die?« Treidler deutete auf das Foto der Waffe mit dem Hakenkreuz.
Abermals nickte Amstetter. »Ja, die Kugel stammt aus einer alten Armeepistole der deutschen Wehrmacht. So wie die hier: eine P-Null-Acht-Parabellum-Pistole. Auch bekannt unter dem Namen Luger und hergestellt bei der Firma Mauser. Drüben in Oberndorf.«
»Zweifel ausgeschlossen?« Treidler musste sich versichern, obwohl er genau wusste, dass Amstetter in solchen Fällen nie irrte.
»Garantiert. Später verwendete die Wehrmacht nur noch Walther-P-Achtunddreißiger. Aber die Waffe, die wir in diesem Fall suchen, ist eine Luger, Kaliber neun Millimeter.« Er tippte mit dem Zeigefinger auf das Foto mit der Pistole. »Die Standardwaffe der deutschen Wehrmacht bis Anfang der vierziger Jahre …«
»Hab ich’s doch gewusst«, stieß Treidler aus und blickte in die Runde.
»Was haben Sie gewusst?« Melchior legte ihre Stirn in Falten.
»Der Alte war nur zufällig ein Angehöriger der Russenmafia. Das war kein Auftragsmord. Es passt nichts zusammen. Der Tote im Wartehäuschen, dann in Stuttgart der Russe mit den Drogen und auch der ganze Nazischeiß hier nicht.«
»Und was vermutest du stattdessen?«, kam Amstetter
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