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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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eine Einladung zu ihr nach Hause. Es verging kaum ein Tag, ohne dass sie nicht im Büro bei ihm anrief und ihn für gut und gern zehn Minuten von der Arbeit abhielt. Warum auch nicht, hatte er damals arglos gedacht. Dass er im Begriff war, den größten Fehler seines Lebens zu begehen, war ihm nicht in den Sinn gekommen.
    »Schnell … Helfen Sie mir …«, drang die Stimme aus den Lautsprechern. Trotz der inneren Aufgewühltheit, die in diesem Augenblick vollständig von ihm Besitz nahm, bemerkte Treidler Lisas hysterischen Tonfall. So hörte sich nur jemand an, der um sein Leben fürchtete.
    »Er bedroht mich …« Lisas sonst so sanfte Stimme überschlug sich fast.
    Tränen stiegen ihm in die Augen, als er sich vorstellte, wie Lisa diesen Moment durchlebt hatte: Weit aufgerissene Lider zeugten von ihrer Todesangst; die Atmung, nein, der gesamte Körper funktionierte nur noch instinktiv, und das Zittern der Hände war so stark, dass sie kaum den Telefonhörer festhalten konnte.
    »Nennen Sie mir bitte Ihren Namen und Adresse, damit wir Ihnen helfen können.« Der Kollege in der Notrufzentrale war hörbar um Ruhe bemüht.
    »Lisa Treidler, Ahornweg 8.«
    Seine Tränen lösten sich und rollten die Wange herunter. Helfen können , dröhnte es in seinem Kopf nach. Dann machten sich die Gedanken selbstständig: Du bist schuld. Du warst nicht da, um ihr helfen zu können. Angewidert schloss Treidler die Lider und kippte den Rest des Wodkas in einem Zug hinunter.
    Aus den Lautsprechern drang derweil dieses kurze, surrende Geräusch, vom dem niemand wusste, was es verursacht haben könnte. Es klang, als ob ein schmaler Gegenstand durch die Luft schnellte. Die Ermittler waren damals davon ausgegangen, dass es sich um das dünne Seil oder den Draht gehandelt hatte, mit dem Lisa erdrosselt worden war. Doch die Mordwaffe blieb bis heute verschwunden. Zu dieser Vermutung passte auch der gurgelnde Laut, der gleich darauf folgte. Einen Augenblick später gaben die Lautsprecher nur noch das qualvolle Tuten der unterbrochenen Telefonverbindung wieder. Die Aufzeichnung endete mit einem lauten Knacken.
    Obwohl er Amstetters Mini- CD schon seit zwei Tagen besaß, hatte Treidler sich bis jetzt gescheut, die Aufnahme anzuhören. Am ersten Abend hatte er lediglich die silberne Scheibe in ihrer Box betrachtet. Gestern schließlich hatte er die Schublade des CD -Spielers geöffnet. Aber vor dem Einlegen hatte ihn der Mut verlassen. Erst vorhin hatte er sich durchringen können. Jetzt jedoch bereute er, die Aufnahme überhaupt angehört zu haben. Amstetter hatte vermutlich recht: Er war noch nicht bereit dafür.
    Plötzlich schreckte er auf, als ob ihn jemand aus dem Schlaf gerissen hätte. Ein Geräusch in der Aufzeichnung … Treidler könnte wetten, dass es nicht dorthin gehörte. Damals, vor Gericht war ihm das Geräusch nicht aufgefallen. Nur ganz leise war es nun zu hören gewesen und nur für den Bruchteil einer Sekunde. Er nahm die Fernbedienung vom Tisch und startete den CD -Spieler erneut.
    »Tut, tut …« Der Kollege meldete sich nach dem zweiten Rufzeichen. »Notrufzentrale Rottweil …«
    »Schnell … Helfen Sie mir …«, unterbrach ihn Lisas panische Stimme. »Er bedroht mich …«
    Auf die Frage nach Name und Adresse folgte ihre hastige Antwort. Da – ein kurzes Geräusch, das von ihrem letzten Wort übertönt wurde. Es handelte sich nicht um einen menschlichen Laut. Dies konnte Treidler ausschließen. Doch reichte die Dauer nicht aus, um ihn näher zu bestimmen.
    Er drückte auf die Fernbedienung, startete die Aufnahme abermals und spulte bis zu der Stelle vor, an der Lisa ihren Namen und die Adresse sagte. Und da war es wieder: Es begann in dem Augenblick, als sie die Acht für die Hausnummer nannte, und klang für einen winzigen Moment nach. Ein leises Zischen, das sich anhörte, als ob in der Ferne Luft aus einem Ventil strömte.
    Mit einem Mal stellten sich seine Nackenhaare auf. Er kannte das Geräusch. Und es gehörte nicht dorthin. Es passte nicht zu diesem Moment, und es passte nicht an diesen Ort. Aber wohin dann?
    Statt einer Antwort fielen ihm die von Amstetter beschafften Protokolle ein. Durch die Ermittlungen in Stuttgart hatte Treidler ganz vergessen, dass er neue Unterlagen besaß. Womöglich gab es in den Aussagen der Polizisten, die den Tatort zuerst erreichten, einen Hinweis darauf, was dieses Zischen verursacht haben konnte.
    Aber wo zum Teufel lag die Aktenhülle? Fieberhaft durchkämmte er ein halbes

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