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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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Holster, »würde ich meine Knarre nehmen.« Ruckartig zog Treidler seine Pistole hervor und hielt sie vor sich hin. Er drehte die Waffe einige Male in der Hand hin und her und fuhr im gleichen beiläufigen Ton fort: »Ich würde sie durchladen …«, er schob den Schlitten der Pistole zurück, um die erste Patrone in die Kammer zu befördern, »… und dann auf dich zielen.« Seelenruhig richtete Treidler den Lauf auf Winklers Stirn.
    »Dir hat man aber schon erklärt, dass eine Waffe zuerst entsichert werden muss«, höhnte der.
    Noch bevor er den Satz ganz ausgesprochen hatte, ertönte das charakteristische Klicken. Treidler hatte den Sicherungshebel nach unten geschoben. »So besser?«, erkundigte er sich mit einem spöttischen Blick und spannte den Hahn.
    Schlagartig traten Winklers Augen aus ihren Höhlen. Panik trat auf sein Gesicht. »Dazu bist du nicht fähig«, schnaubte er verächtlich.
    »Richtig«, entgegnete Treidler schnell und entspannte den Hahn wieder. »Ich bin ja kein Psychopath.« Er sicherte die Pistole und steckte sie betont langsam zurück in das Holster.
    Als habe er nur auf diesen Augenblick gewartet, trat Winkler mit grimmiger Miene einen Schritt auf ihn zu. Er schob sein Doppelkinn nach vorne und blickte Treidler herausfordernd an. Sein Puls pochte gegen die Schläfen. Er war jetzt so nah, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten und Treidler den Zigarettenrauch in seinem feuchten Atem riechen konnte. »Dazu bist du doch nur bei Frauen fähig, die sich nicht wehren können.« Er verzog den Mund zu einem gehässigen Lächeln.
    In diesem einen Moment brach die aufgestaute Wut von sechs Monaten Untersuchungshaft hervor, die Treidler zuallererst ihm zu verdanken hatte. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals einen Menschen so gehasst zu haben wie Winkler in diesem Augenblick. Sein Herz begann zu rasen. Ohne nochmals darüber nachzudenken, holte er blitzschnell mit dem Kopf aus und schlug ihm mit voller Wucht seine Stirn auf die Nase.
    Winklers gellender Schrei durchdrang die morgendliche Ruhe der Polizeidirektion. Er ließ den Pappbecher auf den Boden fallen, und der restliche Kaffee spritzte auf seine Hosenbeine. Mit beiden Händen tastete er nach seiner Nase. Blut schoss aus beiden Nasenlöchern und tropfte auf die befleckte Krawatte und sein Hemd.
    »Das hättest du besser nicht tun sollen.« Winklers Stimme klang dumpf. »Ich sorge dafür, dass hier drinnen niemand mehr deine Fresse sehen muss.«
    »Leck mich.« Eine Dummheit war der Kopfstoß gewesen. Eine große Dummheit sogar. Aber er fühlte sich großartig. Was kümmerte ihn schon dieser Lackaffe in seinem billigen Anzug? Er konnte sich ja bei Petersen beschweren. Auf eine weitere Zurechtweisung kam es nun wirklich nicht mehr an.
    Die Faust kam so schnell, dass Treidler keine Zeit fand, auszuweichen. Sie traf ihn hart an der linken Wange, und für einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen.
    »Hältst du jetzt deine vorlaute Klappe, Psycho?«, vernahm er Winklers dröhnende Stimme.
    Treidlers Zorn steigerte sich ins Unermessliche. Seine Wut war so groß, dass er noch mit geschlossenen Augen auf sein Gegenüber losstürmen wollte. Hinter sich vernahm er eilige Schritte auf dem Linoleumboden. Zwei mächtige Arme umklammerten ihn. Treidler fluchte und versuchte, sich zu befreien. Als Reaktion packten sie noch fester zu.
    »Hört auf, ihr beiden«, drang eine Stimme auf ihn ein. »Das bringt doch nichts …«
    Treidler blinzelte, um die grellweißen Lichtpunkte auf seiner Netzhaut loszuwerden. Es gelang nicht – aber immerhin ließen die Schmerzen langsam nach.
    Mit zusammengekniffenen Augen konnte er vier Streifenbeamte erkennen. Je zwei hielten ihn und Winkler an den Schultern fest. Noch ein paarmal versuchte er, sich aus dem Griff zu winden. Doch die Beamten ließen ihn erst los, als seine Gegenwehr zum Erliegen kam.
    Auch die beiden Uniformierten auf der anderen Seite entließen Winkler aus ihrem Haltegriff. Er stieß lautstarke Verwünschungen aus und versuchte, seinen ramponierten Anzug zu richten. Und noch immer rann Blut aus seiner Nase und tropfte auf Hemd und Krawatte. Treidler schaute zu den vier Beamten, die ihn kritisch musterten. Jedes Wort wäre überflüssig gewesen. Stumm trottete er davon und spürte die feindseligen Blicke in seinem Rücken. Er hatte sich längst abgewöhnt, dabei etwas zu empfinden. Es gehörte zu seinem Alltag wie das morgendliche Zähneputzen.
    Als er das Blut abgewaschen hatte und hinter dem

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