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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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Dutzend Klingelzeichen lang hatte warten lassen. »Fordern Sie mich nicht heraus.« Er atmete scharf aus, sodass ein pfeifendes Geräusch im Telefon ertönte. »Ja, ich werde Sie abziehen. Allerdings erst, nachdem Sie Ergebnisse geliefert haben. Ich will Resultate sehen und dulde kein Versagen in dieser Angelegenheit. So etwas steht überhaupt nicht zur Debatte. Der Kerl war vor zwei Jahren so gut wie überführt. Man hat ihn schließlich in seiner eigenen Wohnung gefunden, ein Stockwerk unter seiner toten Frau.«
    »Es gibt keinerlei Beweise, die für ihn als Täter sprechen«, entgegnete sie. Burghardt würde die Antwort nicht ausreichen, das wusste sie genau.
    »Och, wie süß. Haben Sie das selbst herausbekommen, oder hat er es Ihnen gesagt?«, zischte Burghardt ins Telefon. »Das interessiert mich einen Scheißdreck. Haben Sie verstanden? Erfinden Sie etwas, irgendetwas …«
    »So wie damals bei der Stasi?«, spottete Melchior. »Ich dachte bisher, dass wir im vereinten Deutschland so nicht arbeiten.«
    »Das ist etwas völlig anderes.«
    »Und wenn ich mich doch noch weigere?« Melchior legte ihre ganze Entschlossenheit in diese Frage. Gleichwohl fühlte sie ihren Mut weichen, den sie zu Beginn des Gespräches noch verspürt hatte. Doch sie wollte Burghardt unter keinen Umständen merken lassen, dass er am längeren Hebel saß.
    »Schon wieder die alte Leier. Hatten wir das nicht bereits geklärt?« Seinen Worten folgte ein abfälliges Grunzen.
    »Vielleicht sollte ich mich bei Ihrem Vorgesetzten über Ihre unverschämten Erpressungsversuche beschweren.«
    »Lassen Sie sich nicht aufhalten. Darauf hat er bestimmt schon gewartet.«
    »Oder vielleicht mache ich das alles publik.« Sie wusste, dass sie kaum eine Chance gegen diesen übermächtigen Gegner hätte, aber sie konnte Burghardt damit drohen. »Da gibt es sicher etliche Zeitungen, die so eine Story sofort aufgreifen würden. Spiegel, Focus und wie die Magazine alle heißen. Die freuen sich immer über so etwas.« Sie räusperte sich. »›Ostdeutsche Polizistin jahrzehntelang von ihrem Vorgesetzten erpresst.‹ Wie würde Ihnen das gefallen, Herr Gottlieb Burghardt ?«
    »Da könnten Sie richtig Pech haben, Frau Carina Melchior . Bei uns gibt es keinen Gottlieb Burghardt. Diesen Namen habe ich nie gehört. Wir sind ein seriöses Unternehmen und haben es nicht nötig, jemanden zu erpressen. Auch nicht, um unsere geschäftlichen Ziele zu erreichen.«
    So deutlich war es Melchior die ganzen Jahre über nie aufgefallen: Ihr Vorgesetzter meldete sich niemals mit seinem Namen. Gottlieb Burghardt – falls er überhaupt so hieß – handelte zu clever, um sich oder das Dezernat für Interne Ermittlungen in den Verdacht eines Erpressungsversuches zu bringen. Stattdessen sprach er vom »Unternehmen« und nannte ihre Aufträge schlicht »Geschäfte«.
    Als ob er ihre Gedanken ahnte, gluckste Burghardt zufrieden. »Und zwingen Sie mich nicht, die Fehltritte Ihrer unsäglichen Vergangenheit aufzuzählen. Da gab es ja genug.«
    Mit seinen Vorwürfen kam Melchior plötzlich eine Idee, die sich als so verrückt wie überfällig erwies: Was wäre, wenn sie ihn derart reizte, dass er mehr zugab, als er beabsichtigte? Dann könnte sie seinen Wutausbruch aufnehmen und verfügte so über ein kleines Faustpfand, falls sie aussteigen wollte. Sie drückte den Aufnahmeknopf am Mobiltelefon und versuchte, ihre Stimme so vorwurfsvoll wie möglich klingen zu lassen. »Welche denn? Dass ich mich mit nicht mal zwanzig Jahren habe anwerben lassen?«
    »Zum Beispiel.«
    »Und dass ich ein Jahr vor der Wende für die Staatssicherheit gearbeitet habe?«
    »Vermutlich auch.«
    »Glauben Sie tatsächlich, das interessiert heute noch jemanden?«
    »Ich weiß nicht. Aber vielleicht interessiert es ja Ihre damaligen Mitschüler, dass Sie sie verraten haben.«
    Melchior erwiderte nichts. Sie konnte direkt spüren, wie Burghardt das Gesicht zu einem verächtlichen Lächeln verzog. Doch das reichte nicht. Er sollte endlich seine Beherrschung verlieren und Dinge sagen, die er sonst nicht in einem Telefonat von sich geben würde.
    Burghardt fuhr fort: »Kennen Sie die übliche Vorgehensweise der Stasi bei republikfeindlichen Handlungen? Nein? Die drei jungen Männer vermutlich schon, die durch Sie für ein Jahr in Hohenschönhausen einsaßen. Und wäre die Wende nicht dazwischengekommen, säßen sie noch immer.« Er machte eine kurze Pause. »Eigentlich hätten Sie damals mitkommen sollen,

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