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Schwarzer Purpur

Schwarzer Purpur

Titel: Schwarzer Purpur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wahl
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ist die berühmte Verveine aus den alten Romanen, botanisch Lippia citriodora . Man kann eine wunderbare Tisane daraus zubereiten. Mit frischen Lindenblüten kombiniert ist es das Beste vor dem Schlafengehen. Das daneben ist die Lippia dulcis , das Mexikanische Süßholz, es riecht ein bisschen nach Anis. Ich benutze es hauptsächlich zum Süßen, denn das Aroma ist nicht so berauschend.«
    Einmal auf den Geschmack gekommen, rieb und schnupperte ich begeistert an allen Zweigen und Blättern, bis Jonathan sich entschieden weigerte, mir weitere Auskünfte zu geben, und darauf bestand, dass ich mich erst einmal »frisch machte«.
    Das Badezimmer entsprach meinen kühnsten Erwartungen. Marmorboden, verspiegelte Wände (er musste eine Putzfrau haben!), das Mobiliar im Kolonialstil – es fehlte nur das Tigerfell als Duschvorlage. Wie die übrige Wohnung wirkte alles so makellos, als erwarte der Bewohner jeden Augenblick ein Fototeam von Schöner Wohnen , oder was dem hier in England entsprach. Die Wassertropfen im glänzend polierten Waschbecken störten direkt. Ich griff mir eine Hand voll Kleenex und wischte es trocken, um die profanen Gebrauchsspuren zu beseitigen. Undenkbar, dass dieser Spiegel jemals so aussieht wie bei Monika und mir , dachte ich einen Moment lang beschämt ob unserer Nachlässigkeit, mit Zahnpastaspritzern und den Putzmittelschlieren.
    »Zieh dir ruhig etwas Bequemes an«, rief Jonathan aus der Küche. »Wir machen es uns so richtig gemütlich.«
    Als ich mir kurz darauf von den Düften den Weg zur Küche weisen ließ, war ich doch etwas überrascht, meinen Gastgeber mit atemberaubender Geschwindigkeit Zwiebeln hacken zu sehen – in einem knöchellangen Kaftan! Aber er bewegte sich in diesem ungewöhnlichen Kleidungsstück mit einer Eleganz, die es zu einer Selbstverständlichkeit werden ließ.
    Natürlich hatte Monika mir gesagt, dass Jonathan schwul war, aber meine Erwartungen hatten sich an den Klischees orientiert, die man unbewusst verinnerlicht. Ich war darauf vorbereitet gewesen, dass er sich manieriert bewegen, vielleicht sogar tänzeln würde. Und dass sich seine Sprechweise von der anderer Männer unterscheiden könnte.
    Ganz und gar nicht war ich auf den echten Jonathan vorbereitet, dessen beiläufige Haltung und Gestik durch und durch männlich wirkten. Auch der schlichte, schwarze Kaftan ließ ihn nicht feminin erscheinen. Die orientalische Note betonte seine gebräunte Gesichtshaut, die grau überhauchten, leicht gewellten dunklen Haare und verlieh ihm etwas Geheimnisvolles, Tragisches.
    »Ich hoffe, du hast Appetit mitgebracht?«, fragte der Magier aus Tausendundeiner Nacht, und die prosaische Frage zerriss den melancholischen Schleier, den ich in Gedanken um ihn gelegt hatte.
    »Ich habe heute italienisch gekocht«, erläuterte er mir. »Scaloppine alla Salvia, Gnocchi und Tomatensalat mit Basilikum. Italienisches Essen schmeckt eigentlich jedem. Moment …« Er griff an mir vorbei nach dem Topf mit den kleinen Klößchen und schüttete das Wasser ab. Mit einem: »So, die Gnocchi kannst du schon mitnehmen. Den Rest bringe ich nach«, wurde ich ins Speisezimmer geschickt.
    Jonathan hatte bereits den Tisch gedeckt und, abgestimmt auf das Menü, einfaches weißes Porzellan gewählt. Der Tomatensalat mit den leuchtend grünen Basilikumblättern wirkte wie eine Dekoration. Ich stellte die Gnocchi auf den kleineren der Metalluntersetzer und blieb unschlüssig stehen. Vermutlich saß er am Kopfende und für mich war der Platz daneben gedacht, aber ich zögerte, weil ich nicht wie ein hungriges Kind auf seinem Platz sitzend das Essen erwarten wollte.
    Ein Porträtfoto in Schwarzweiß auf einem Vertiko zwischen den Fenstern zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ein blonder junger Mann lächelte etwas gezwungen in die Kamera, als sei ihm die Situation peinlich. Die endlos langen Kragenspitzen deuteten auf die 70er Jahre hin, genauso wie die für den heutigen Geschmack zu langen Haare, die das Androgyne in seinen weichen Zügen betonten.
    Das Foto an seinem exponierten Standort erinnerte an einen Schrein. Ein alter Freund von Jonathan? Ein Geliebter? Was mochte aus ihm geworden sein?
    Ich wandte mich hastig ab, als sei ich bei etwas Unanständigem ertappt worden, sobald ich das Tappen seiner weichen Lederschlappen hörte.
    »So, fertig. Setz dich doch bitte. Einen Aperitif?«
    Als ich dankend ablehnte, goss er mir einen sehr hellen Weißwein ein und legte mir zwei der kleinen Schnitzelchen auf

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