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Schwarzer Purpur

Schwarzer Purpur

Titel: Schwarzer Purpur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wahl
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wohnte, und er nutzte die tatsächlich von zahlreichen Stillständen unterbrochene Fahrt, um mich auf diese oder jene Sehenswürdigkeit aufmerksam zu machen. Die Einkaufsstraßen sahen aus wie in jeder Großstadt, die man aus dem Fernsehen kennt, aber sobald wir die stilleren Seitenstraßen der Wohnbezirke erreichten, fiel mir auf, dass die Architektur sich deutlich unterschied. Die schier endlosen geschlossenen Fassaden mit ihren Treppenaufgängen und den Souterrainwohnungen wirkten auf mich fremd und gleichförmig. Statt in die Höhe schien hier alles in die Breite zu gehen.
    Es gab ausgesprochen ehrwürdig wirkende weiße Hausreihen, in denen sicher schon zu Königin Victorias Zeiten gelebt worden war, mit Säulenpaaren an den Türen und glänzenden Messingknäufen. Aber auch ziegelrote mit Miniaturgärtchen vor den Fenstern, modern anmutende mit dem Charme eines Industriegebiets.
    In Chelsea herrschte ein dunkles Braunrot vor, schlicht und eher ländlich. Direkt vor dem gediegenen Haus, vor dem das Taxi hielt, lag ein kleiner Park mit hohen Bäumen.
    Die Rasenfläche in der Mitte um einen winzigen Teich herum schimmerte geradezu unwirklich grün – ein Stück englischen Traditionsrasens. Entgeistert beobachtete ich, wie eine Frau mittleren Alters, trotz der frühsommerlichen Temperaturen in Tweedkostüm und dicke Strümpfe gekleidet, ihren Hund mitten hineinführte und ungerührt abwartete, dass er dort, inmitten dieses samtigen Meisterwerks, sein Geschäft verrichtete. Das Sakrileg schien weder Jonathan noch den Taxifahrer zu empören.
    Die Wohnung im dritten Stock bot einen beeindruckenden Panoramablick zwischen den Baumkronen hindurch auf die Themse und das gegenüberliegende Ufer. Unterdrückt keuchend trug Jonathan meinen Koffer einen langen Flur hinunter und wies schließlich einladend auf ein gemütliches Zimmer, das stets für Gäste bereitstand, wie er sagte.
    Die Wohnung schien ein Innenarchitekt mit Sinn für orientalische Dramatik eingerichtet zu haben: Man erwartete jeden Moment, einen Diener mit Turban und Fliegenfächer auftauchen zu sehen. Die Struktur und Farbe des Teppichbodens erinnerte an geflochtenes Gras. Das dunkle Holz der Möbel kontrastierte mit den hellen Wänden, an denen Sammlerstücke aus aller Herren Länder hingen. Bei den Polsterfarben dominierte ein dunkles Persischrot, das sich in den schweren Samtvorhängen vor den Fenstertüren wiederholte. Zu meiner Begeisterung führten sie auf einen ausladenden Balkon, der zum größten Teil von üppigen Grünpflanzen bewohnt wurde.
    »Ich koche mit Leidenschaft«, erklärte Jonathan mir, sobald er mein Interesse bemerkte. »Und ich lege Wert auf wirklich frische Zutaten. Besonders Kräuter sind oft von minderer Qualität, deshalb ziehe ich sie selbst. – Hier …«, er zupfte geschickt ein rötliches Blatt von einer kniehohen Pflanze in einem besonders schönen Terrakottatopf. »Tulasi nehme ich gerne zu indischen Gerichten, aber ich experimentiere momentan mit Süßspeisen.«
    Das Blatt schmeckte seltsam. Man konnte es nur als eine Mischung aus Gewürznelken, etwas Pfeffrigem und etwas Süßem beschreiben: unverwechselbar und nicht einzuordnen in die mir bekannten Kräuter. Allerdings beschränkten sich meine Kenntnisse auch auf Petersilie, Dill, Schnittlauch, Liebstöckel und Basilikum. Schon Kerbel hätte ich nicht mehr am Geschmack erkannt, ganz zu schweigen von Estragon. Der französische Estragon, von dem Mutter einmal einen Zweig mitbrachte, schmeckte uns beiden nicht. Um genau zu sein: Er schmeckte nach gar nichts, und Mutter entschied, dass er für »gar nichts« geradezu unverschämt teuer wäre.
    Natürlich kannte ich auch noch Oregano von den grünen Krümeln, die man über Pizza streute, und Majoran aus den Nürnberger Bratwürstchen. Nie wäre ich aber auf die Idee gekommen, dass der kleine Krauskopf in dem hohen, blau glasierten Topf eine gut beschnittene Thymianpflanze war. Von Jonathan ermutigt strich ich vorsichtig über die dichten Zweige und roch überrascht die süße Duftwolke, die zwischen meinen Fingern aufstieg.
    »Bei manchen reicht es, nur über die Blätter zu streichen, manche muss man etwas reiben. So …« Er demonstrierte mir eine Technik, die darin bestand, ein einzelnes Blatt zwischen Daumen und Zeigefinger zu reiben. »Hier, probier das einmal.« Ein starker Geruch nach Zitronenbonbons stieg mir in die Nase. Wirklich Zitronenbonbons – nicht Zitronen. »Was ist das?«, fragte ich überrascht.
    »Das

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