Schwarzer Purpur
größer. Eine einzeln stehende Eiche, kräftig, mit sich allein zufrieden. Jedenfalls ein Solitär. Bei seinem Aufzug war es ein Wunder, dass der Pförtner ihn überhaupt hereingelassen hatte.
Ob er sich absichtlich so nachlässig angezogen hat? , fragte ich mich. Die ausgeblichenen Jeans waren zwar sauber, aber deutlich abgenutzt. Das blau-weiß gestreifte, kragenlose Hemd stand weit offen und ließ eine wie das markante Gesicht gebräunte Brust erahnen. Als Mark Abernathy mir seine schwielige Hand bot, kam ich ihm nahe genug, um seinen Geruch wahrzunehmen. Sein Rasierwasser erinnerte mich entfernt an gemähte Wiesen und sommerwarme Waldränder. Darunter aber lag noch eine andere Note. Warm, befremdlich, aufregend. Etwas, das mich magnetisch anzog.
Innerlich widerstrebend zog ich meine Hand wieder zurück und schaute ihm ins Gesicht. Seine ausdruckslose Miene und die unfreundlich zusammengezogenen Augen machten deutlich: Er mochte mich nicht.
Überrascht von seiner offenen Antipathie begrüßte ich den blassen Dolmetscher besonders freundlich, während ich in Gedanken versuchte, die Farbe der Augen, die mich so abweisend angeblitzt hatten, zu bestimmen. Ein dunkles Graublau, fast Anthrazit, mit einer metallischen Härte. Ob sich die Farbe änderte, wenn er lachte? Er lachte sicher häufig. Die Lachfältchen um seine Augen waren deutlich ausgeprägt.
Wir setzten uns. Es fiel mir erstaunlich schwer, mich wieder auf Dr. Weydrichs Partner zu konzentrieren, der mich bat, bei jeder Unklarheit oder meiner Meinung nach offenen Frage sofort den Dolmetscher einzuschalten. »Ich dachte, es wäre alles abgeklärt und ich müsste nur noch unterschreiben«, sagte ich verunsichert.
Abernathy schnaubte verächtlich, der Dolmetscher versank noch ein Stück tiefer in seinem Sessel.
Der englische Anwalt lächelte und erläuterte, dass er aus rechtlichen Gründen das vollständige Abkommen in unserem Beisein verlesen müsse, und er lege Wert darauf, dabei jede noch so unwichtige Einzelheit zu klären. Ich nickte und versuchte mich auf seine monotone Stimme zu konzentrieren. Dr. Weydrich hatte mir die deutsche Übersetzung zugeschickt, und ich hatte sie teilweise sorgfältig gelesen, teilweise – vor allem die mir übertrieben umständlich scheinenden Paragraphenanhänge – überflogen. Manches schien mir als juristischem Laien unverständlich, aber ich vertraute dem alten Fuchs.
Die Textpassagen rauschten an mir vorüber; es ging um die Summe, die ich für meine Exklusivrechte zahlte, um den Umfang der Rechte, um die Zahlungsmodalitäten, die Einzelheiten der Verrechnung bei Währungsschwankungen, Lieferbedingungen … es nahm kein Ende. Man sollte nicht meinen, wie kompliziert ein an sich einfacher Geschäftsvorgang werden kann, wenn Juristen sich der Sache annehmen!
Meine Gedanken schweiften ab, kreisten um den muskulösen Unterarm, der dicht neben mir auf einer Sessellehne ruhte. Ich meinte fast, die Wärme zu spüren, die von ihm ausging. Der Arm war kräftig behaart, aber die Hand wirkte trotz der Arbeitsspuren auffallend gepflegt. Die langen Finger zuckten vor unterdrückter Ungeduld, als müsse er sich mühsam beherrschen.
Als die Finger sich plötzlich zur Faust ballten, blinzelte ich überrascht und horchte auf. Was hatte ihn so erbost?
Ungerührt verlas der kleine Anwalt, dass ich mit Auszahlung der Summe mein vertraglich zugesichertes Kontingent in Anspruch nehmen konnte und im Falle von nicht ausreichender Lieferkapazität als Kompensation das sofortige Zugriffsrecht auf das gesamte Sortiment hatte.
»Unter Umständen könnte das bedeuten, dass außer meiner Mandantin niemand anderer mehr beliefert werden darf«, erläuterte er und schaute bedeutsam über den Rand seiner Lesebrille. »Ist Ihnen das klar, Mr. Abernathy?«
»Ja«, knurrte er wütend, so dass offensichtlich wurde, dass dieser Fall durchaus eintreten konnte.
Wieso hatte er sich darauf eingelassen , schoss es mir durch den Kopf. War seine eigentliche Produktionskapazität so niedrig? Oder hatte der alte Fuchs unseren Teil mit voller Absicht so hoch angesetzt?
Dieser Abernathy musste ganz schön in der Klemme stecken, dass Dr. Weydrich einen solchen Passus hatte durchdrücken können. Er legte mir damit Purple Passion mehr oder weniger zu Füßen. Wenn ich gierig oder bösartig genug wäre, könnte ich Abernathy zu einem bloßen Lieferbetrieb von meinen Gnaden degradieren. Zumindest für die Zeit, bis er mit meinem Geld seine Erweiterung
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