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Schwarzer Purpur

Schwarzer Purpur

Titel: Schwarzer Purpur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wahl
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Kellerräumen reihten sich Ständer an Ständer, geordnet nach Jahrgängen und Epochen mit Kleidungsstücken von heute bis hin zu einem kleinen Ständer mit Originalteilen aus der viktorianischen Ära. Vorsichtig strich ich über den zerschlissenen Spitzeneinsatz eines Vormittagskleides und versuchte mir vorzustellen, wie die Trägerin wohl gewesen sein mochte. Schüchtern, unglücklich, arrogant? Was hatte sie sich vom Leben erwartet, was mochte aus ihr geworden sein?
    »Komm hier herüber«, unterbrach Jonathan meine Gedanken. »Das müsste dir wunderbar stehen. Und es passt zu einer Verabredung mit dem schwarzen Mark.« Er zog ein Kleid vom Fünfzigerjahre-Ständer und hielt es mir hin.
    »Wow«, entfuhr es mir, ehe ich mich zurückhalten konnte. Das leichte Sommerkleid mit tiefem Ausschnitt und weit schwingendem Rock war über und über bedruckt mit Maiglöckchensträußen.
    »Du hattest schon immer ein gutes Auge. Sag mir Bescheid, wenn du bei mir anfangen willst«, dröhnte es von der Wendeltreppe. Das fragile Metallgestell schaukelte bedenklich, während eine Frau, deren Körper dem Volumen der Stimme in nichts nachstand, vorsichtig Stufe für Stufe herunterstieg. Eine üppige Hortensie, nur mühsam mit Hilfe moderner Miederwaren gebändigt.
    Sie zwinkerte mir zu, drückte Jonathan an ihren monströsen Busen und ermunterte mich, das Kleid anzuziehen. »Anprobieren kostet nichts, Schätzchen. Und auf Jonathans Rat würde ich hören!«
    Die Umkleidekabine war voll gestopft mit Theaterrequisiten: Federboas, Zylinder, künstliche Blumen. Vorsichtig schlüpfte ich aus meinen Jeans und dem Pullover und ließ das Kleid an mir herabrutschen. Es saß wie angegossen.
    »Na also, das ist doch perfekt. Was ist mit Petticoats und Schuhen, Jane. Hast du etwas Passendes da?«
    Jane hatte, aber ich weigerte mich, mehr als einen der voluminösen Unterröcke zu tragen. Die weißen Ballerinas aus weichem Leder waren allerdings erstaunlich bequem.
    In dem dunklen, etwas staubigen Ambiente des Ladens – der halbblinde Spiegel tat wohl ein Übriges – kam ich mir unwirklich vor: Diese bildschöne junge Frau konnte doch nicht ich sein!
    »Aber so kann ich nicht auf die Straße gehen«, wagte ich einzuwenden. »Ich sehe aus, als wäre ich einem Audrey-Hepburn-Film entstiegen.«
    »Na und?«, entgegnete die Walküre ungerührt. »Du bist in Swinging London, Schätzchen. Hast du noch nichts davon gemerkt? Hier läuft jeder herum, wie es ihm Spaß macht und wie er es sich leisten kann, und es wäre einfach blödsinnig, wenn du dieses Kleid nicht nehmen würdest.«
    »Es ist wie für dich gemacht!«, ergänzte Jonathan strahlend. »Sieh dich an – alles stimmt.«
    »Ich mache dir einen Sonderpreis.«
    Schließlich gab ich ihren vereinten Überredungskünsten nach, und Jonathan, der sich mit Feuereifer in seine selbst gestellte Aufgabe gestürzt zu haben schien, beratschlagte sich mit Jane, wohin er mich für ein »anständiges Make-up« bringen könnte. »Und schnell muss es gehen. Viel Zeit haben wir nicht mehr, aus diesem Rohdiamanten etwas zu machen.«
    »Ich möchte aber kein Make-up«, widersprach ich. »Ich habe noch nie welches benutzt, und ich will nicht angemalt aussehen …«
    »Rede keinen Unsinn, Schätzchen«, schnitt Jane mir das Wort ab. »Jede Frau braucht Make-up. Die eine mehr, die andere weniger. Geh mit ihr nach nebenan, Jonathan. Samantha hat Stil und Geschmack.«
    Janes Behauptung hielt ich angesichts der magersüchtigen Blondine, die uns wenig später die Tür öffnete, für ein krasses Fehlurteil. Es stellte sich allerdings schnell heraus, dass sie gar nicht Samantha, sondern die Putzfrau war.
    Samantha, eine distinguierte Kamelie in den Mittdreißigern, lauschte Jonathans Erläuterungen mit höflich seitwärts geneigtem Kopf. Dann bat sie mich, vor einem mitleidlos erleuchteten Spiegel Platz zu nehmen, hüllte mich in einen bodenlangen Frotteeumhang und musterte mich stumm und konzentriert. Ich wurde immer nervöser. Was für eine grässliche Situation: gemustert zu werden wie auf dem Pferdemarkt!
    Schließlich fällte sie ihr Urteil: »Kein Fond de Teint – nur einen Spezialpuder, der die Haut mattiert. Für die Lippen ein leicht bräunliches Lipgloss. Mascara und Lidschatten in einem matten Olivgrün. Vielleicht noch eine Spur Rouge. Aber keinesfalls zu viel Farbe, sonst sieht sie billig aus.«
    Ich warf Jonathan einen leicht verzweifelten Blick zu. Er zwinkerte zurück. Warte ab , schien er zu sagen.
    Und

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