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Schwarzer Purpur

Schwarzer Purpur

Titel: Schwarzer Purpur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wahl
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zog die Brauen hoch, klopfte auf einen Sessel in seiner Reichweite und sagte: »Erzähl mir von ihnen. Sie scheinen ein interessantes Paar gewesen zu sein.«
    »An meinen Vater kann ich mich nicht mehr erinnern«, begann ich zögernd. »Ich weiß nur, was meine Tante mir erzählt hat.« Und dann breitete ich die ganze traurige Geschichte vor Jonathan aus.
    Er unterbrach mich kein einziges Mal, nickte nur manchmal ermutigend, wenn ich nach einem passenden Wort suchte.
    Seltsamerweise machte es mir überhaupt nichts aus, Jonathan alles zu erzählen. Wie einem Beichtvater , dachte ich, einem väterlichen Freund, der alles versteht, weil er schon so viel im Leben gesehen hat, dass ihn nichts mehr überrascht. Indem ich alles in Worte fasste, auch meine eigenen Gefühle ausdrücken musste, konnte ich auf einmal zu meiner eigenen Überraschung die nötige Distanz aufbringen, um alles von einer höheren Warte aus zu betrachten. Von dort aus schien die Härte meiner Mutter auch Schwäche zu sein, die Unfähigkeit, Schmerzen und Enttäuschungen auszuhalten. Plötzlich tat sie mir unendlich leid. Sie konnte nur Makelloses schätzen, aber dieser lebensferne Anspruch hatte einen schauerlich hohen Preis. Sie musste schrecklich einsam gewesen sein auf ihrer Flucht vor dem, was sie für mangelhaft hielt. War es wirklich so unvorstellbar für sie gewesen, meinem Vater zu verzeihen und statt eines ganzen Lebens nur eine Ehe neu aufzubauen? Alles oder nichts. An dieser Forderung musste jeder früher oder später scheitern. Jeder – außer meiner Mutter.
    »Deine Mutter war eine bemerkenswerte Frau«, stellte Jonathan bewundernd fest. »Eine solche Konsequenz und Härte findet man selten. Du bist so anders, dass man sich fragt, wie ihr miteinander ausgekommen seid. War es sehr schwer für dich?«
    Eigentlich hatte ich früher nie darüber nachgedacht. Von klein auf war ich unsere Art zu leben gewohnt gewesen. Was hätte es für einen Sinn gehabt, sich dagegen aufzulehnen? Ich war kein geborener Rebell, ich arrangierte mich.
    »Ich habe mich oft wie ein Bonsai gefühlt«, versuchte ich Jonathan meine Situation begreiflich zu machen. Ein solcherart geformter Baum wächst genau nach den Wünschen seines Besitzers. Er wird nicht groß, weil der ihm den Raum für die Wurzeln künstlich klein hält. Der Spezialdünger wird genau bemessen, und die Zweige krümmen sich in den Fesseln der Drähte, die die gewünschte Form vorgeben. Er lebt und ist zugleich ein künstlich erzeugtes Geschöpf. Und trotz seiner Verkrüppelung ist er fähig, einen Winter zu überstehen, im Frühjahr auszutreiben und unverdrossen Wurzeln zu treiben wie seine großen Geschwister.
    »Was geschieht, wenn ein solcher Bonsai ins Freie gepflanzt wird – um bei deinem Bild zu bleiben?«, fragte Jonathan neugierig.
    »Wenn er jung genug ist, wird er weiterwachsen wie ein normaler Baum. Aber es dauert seine Zeit.«
    Wir schwiegen, beide in Gedanken versunken.
    Jonathans altmodische Glassturzuhr mit ihrem Westminsterschlag ließ uns beide gleichzeitig hinsehen. Die Zeiger standen auf zwölf Uhr mittags. Jetzt säße ich, wenn alles wie geplant abgelaufen wäre, bereits im Stanstead-Express. Wir wechselten einen Blick. Kein Anruf.
    Tut mir leid, sagten seine Augen. »Wie machen wir es mit dem Kochen?«, fragte sein Mund. »Ich fürchte, ich muss dich bitten, eine Dose Mulligatawny-Suppe zu öffnen. Nicht sehr kunstvoll, aber ich denke, für unseren bescheidenen Appetit wird es ausreichen. Morgen Vormittag wollte ich sowieso nach Notting Hill auf den Markt. Da schauen wir, dass wir etwas Gescheites finden.«
    Essen war mir im Moment völlig gleichgültig, aber ich war dankbar für die Ablenkung. Geschäftiger als nötig machte ich mich an die Aufgabe, nach seinen Angaben die Suppe mit kleinen Spritzern von Madeira zu aromatisieren, weißen Pfeffer hineinzumahlen und ein frisches Lorbeerblatt vom Balkon zu holen.
    »Wie sieht Lorbeer aus?«, fragte ich hilflos. Ich kannte nur die trockenen Blätter aus dem Gewürzregal.
    »Es ist wirklich erstaunlich, wie du es geschafft hast, um alle nützlichen Pflanzen einen Bogen zu schlagen!«, rief er mir hinterher. »Das Bäumchen im Versailles-Kübel gleich neben der Balkontür ist der Lorbeer. Und bring gleich noch etwas Liebstöckel mit, der sieht wie glatte Petersilie aus, genau gegenüber im Tontopf.«
    Der kleine Hochstamm im weißen Holzkübel sah auf den ersten Blick recht langweilig aus. Eine grüne Kugel auf einem dünnen

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