Schwarzer Purpur
Stämmchen, wie sie zu Dutzenden vor den feineren Parfümerien stehen, manchmal mit Schleifen in den Farben des Hauses geschmückt. Erst als ich ein dunkelgrünes Blatt von einem hinteren Ast abknipste (»Niemals reißen!«, hörte ich Jonathan gerade noch rechtzeitig aus der Küche rufen) und daran roch, bemerkte ich den würzigen Duft, den es verströmte. Er unterschied sich deutlich von dem der Blattmumien, die Mutter zu den seltenen Gelegenheiten, wenn es bei uns Wild gab, mit in den Topf gelegt hatte.
Der Liebstöckel erinnerte tatsächlich an Suppenpetersilie mit seinen kräftigen, geschlitzten Blättern. Ich pflückte eine Hand voll, und sofort stieg mir ein Geruch nach Maggi in die Nase, als hätte ich eine der unverwechselbaren Flaschen geöffnet. »Um Himmels willen – doch nicht so viel!« Jonathan gestikulierte geradezu entsetzt. »Man darf nur ganz wenig Liebstöckel verwenden, er schmeckt sonst durch.« Er beobachtete mich wachsam, während ich die Kräuter und Gewürze in die Suppe einrührte und sie dann in zwei Teller schöpfte. »Guten Appetit!«, wünschte er mir, ohne mich aus den Augen zu lassen.
Trotz meines inneren Widerwillens tauchte ich Jonathan zuliebe den Löffel in die hellgelbe, dampfende Flüssigkeit. Zu meiner Überraschung reagierte mein Körper anders als erwartet auf den appetitlichen Duft und Geschmack: Mein Magen, der sich bisher noch nie hatte überlisten lassen, änderte von einem Moment auf den anderen seine Meinung und knurrte vor Hunger.
Jonathan beobachtete zufrieden, wie ich den Teller leerte und schenkte mir wortlos mit der silbernen Suppenkelle nach. »Gutes Essen hat in deinem Leben bisher keine große Rolle gespielt, nicht wahr?«
Ich musste ihm Recht geben. Essen war für Mutter etwas Lebensnotwendiges gewesen, aber nichts, für das sie sich besondere Mühe gegeben hätte. Bratwürste, Hackfleisch, hier und da Braten oder Fisch – alles nichts, was in ihren Augen mehr als Salz und Pfeffer verlangte. Meist gab es dazu Kartoffelbrei aus der Tüte, seltener Reis, Nudeln kamen nie auf den Tisch. Im Nachhinein verstand ich ihre Abneigung gegen etwas, das sie an meinen Vater erinnern musste.
Eine Zeit lang hatte ich in meiner botanischen Begeisterung essbare Kräuter mitgebracht, aber Mutter hatte die Nase darüber gerümpft. »Weiß du, welches Tier sich da verewigt hat?«, pflegte sie zu fragen und bestand darauf, sie so lange in heißem Wasser zu waschen, bis sie matt und kraftlos auf dem Schneidebrett lagen. Ich begnügte mich wieder mit den Salatsoßen aus den Tütchen. Wenigstens entsprachen die Mutters Vorstellungen von Hygiene.
Als ich älter wurde und meine Vorliebe für Pizza entdeckte, gönnte ich mir manchmal in der Mittagspause eine halbe aus dem Schnellimbiss gegenüber. Auch bei Monika wurde aus Zeitmangel wenig gekocht, und wenn, dann oft Fertiggerichte. Einen solchen Aufwand, wie ihn Jonathan betrieb, fand ich im Grunde unnötig, musste aber zugeben, dass die Ergebnisse ein Erlebnis waren – zumindest für meinen ungeübten Gaumen.
»Da du sowieso in der nächsten Zeit das Kochen übernehmen musst, gebe ich dir am besten eine Einführung in meinen Garten, damit du deine Helfer kennen lernst«, meinte Jonathan und winkte mich auf den Balkon. »Also – gleich hier haben wir einige Thymiansorten. Sie unterscheiden sich nicht sehr, aber der Zitronenthymian hat zusätzlich eine fruchtige Note.«
Ich zupfte einige der winzigen Blättchen ab und kaute bedächtig. Das Aroma war auffallend schwächer als bei getrocknetem Kraut.
»Richtig, gut beobachtet.« Jonathan schien zufrieden mit meiner Beobachtung. »Das Thymol entwickelt erst in trockenen Blättern sein volles Aroma. – Für Schmorgerichte bevorzuge ich daher getrockneten Thymian, aber für schnelle Pfannengerichte oder Salate nehme ich natürlich den frischen.«
Ich lernte verschiedene Minzsorten zu unterscheiden, kaute Kerbel und Bohnenkraut, stellte fest, dass französischer Estragon tatsächlich einen zarten Anklang an Marzipan hatte, und begeisterte mich für den herben Duft des hüfthohen Rosmarinstrauchs.
Jonathan nutzte meine neu entdeckte Begeisterung für Gewürzkräuter sofort aus. In einer verdeckten Ecke des Balkons stand ein geschickt durchkonstruierter Tisch für nötige Arbeiten. Hier ließ er mich mit den Worten »Ich muss es doch ausnutzen, wenn ich einmal eine richtige Gärtnerin dahabe« Basilikum, Dill und Majoran pikieren, das Zitronengras und die Schnittlauchballen
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