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Schwarzer Purpur

Schwarzer Purpur

Titel: Schwarzer Purpur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wahl
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Tagen kaum an mir hätte vorstellen können. Die Veränderung, die mir am stärksten bewusst war, saß allerdings an meinen Füßen, und ich konnte mich nicht an ihr satt sehen. »Höchst unwahrscheinlich, dass sich die Schuhe plötzlich in Luft auflösen«, brummte Jonathan gutmütig, als er mich bei einem meiner Kontrollblicke ertappte.
    Als ich die Pumps im Schaufenster sah, hielt das Taxi gerade an einer roten Ampel. Ich starrte wie verzaubert auf die eleganten Schuhe in kirschrotem Nappaleder. Mit den abgerundeten Spitzen, den schmalen Riemen über dem Spann und den halbhohen geschwungenen Absätzen erinnerten sie mich an die Schuhe, die ich als Sechsjährige unbedingt hatte haben wollen und die Mutter mir so entschieden wie entsetzt verweigerte. »Nur über meine Leiche«, hatte sie damals gesagt.
    Wir waren nur noch ein oder zwei Ecken von Jonathans Wohnung entfernt, und ich tat etwas so Verrücktes, dass ich mich immer noch über mich wunderte: Ich stieg einfach aus, obwohl Jonathan mir hinterherrief, auf ihn zu warten. Magisch angezogen von diesen Schuhen marschierte ich, ohne mich noch einmal umzusehen, in den Laden. Erst die piekfeine Umgebung brachte mich auf den Gedanken, dass ich vielleicht etwas zu voreilig gehandelt hatte. Aber ich wollte diese Schuhe!
    Und so probierte ich mein erstes Paar Manolo Blahniks an, als Jonathan keuchend und außer Atem hereinstürzte, um mich vor meinem eigenen Wahnsinn zu retten. »Ich habe das Taxi angewiesen, so lange um den Block zu fahren, bis wir hier fertig sind.« Ich nickte, hörte ihm aber überhaupt nicht zu. Das schmiegsame Leder umfing meine Füße wie ein Handschuh. Sie waren überraschend bequem, nichts drückte oder beengte. Versuchsweise ging ich ein paar Schritte in ihnen. Sie fühlten sich einfach richtig an. Wie hatte Mrs. Dunnet gesagt? Wenn sich etwas richtig anfühlt, dann lass dich nicht beirren! Zwar hatte sie dabei sicher nicht an Schuhe gedacht, aber ich wollte mich jetzt trotzdem nicht beirren lassen.
    »Diese verrückten Schuhe stehen dir wirklich gut«, gab Jonathan widerwillig zu.
    »Es kommt nicht oft vor, dass ein Modell so gut zu einem Fuß passt«, bestätigte die Verkäuferin. »Dieser Schuh könnte für Sie maßgefertigt sein, so gut sitzt er.« Genau wie der ganze Laden hatte sie zu viel Stilgefühl, um hinzuzufügen, was jede normale Verkäuferin, die ich kannte, gesagt hätte – »Lassen Sie sich diese einmalige Chance nicht entgehen!« –, aber ich verstand sie auch so.
    Die Schuhe kosteten so viel wie alles andere zusammen, aber ich kaufte sie trotzdem. Jonathan musterte mich mit einer Mischung aus Überraschung, Nachdenklichkeit und erfreutem Erstaunen, hielt jedoch den Mund, während er neben mir zur nächsten Ecke trottete, wo unser Taxi wartete.
    Bis spät in die Nacht hatten wir gepackt. Vor Aufregung konnte ich nicht einschlafen – und so hörte ich die Wohnungstür, leise Schritte und Stimmengemurmel. Ich widerstand sowohl dem kindischen Bedürfnis, die Tür einen Spalt zu öffnen und einen Blick auf den geheimnisvollen Gast zu werfen, als auch der Ausrede mit dem Glas Wasser.
    Der Schnellzug nach Bristol ratterte eher gemächlich dahin. Waren die verrußten Ziegelmauern und bröckelnden Betonwände der verkommen wirkenden Außenbezirke Londons, durch die die Bahngleise führten, mir besonders hässlich erschienen, so machten die Postkartenidyllen der ländlichen Ortschaften, durch die wir nun fuhren, das mehr als wett. Meine Begeisterung über die in allen Farben leuchtenden Vorgärten und die niedrigen, schiefergedeckten Häuser, die sich wie auf impressionistischen Gemälden zu dekorativen Weilern zusammenfanden, ließ mich wie gebannt aus dem Zugfenster starren, um möglichst viel davon in mich aufzunehmen. Hätte ich die Fähigkeit besessen, zu malen, was ich sah, hätte man mir vermutlich vorgeworfen, Kitschbilder zu produzieren.
    Jonathan blätterte unbeeindruckt in der Zeitung, die er sich am Bahnsteig aus einem der Kästen gezogen hatte. Wieso er sich ausgerechnet ein so aggressiv aufgemachtes Blatt ausgesucht hatte, wurde mir erst klar, als er es erleichtert aufatmend zusammenfaltete und in den Abfallbehälter fallen ließ. »Was hast du gesucht?«, fragte ich halb neugierig, halb besorgt.
    Er winkte ab. »Blöde Angewohnheit von mir. Wenn ich an diesem Zeug vorbeikomme, kann ich einfach nicht widerstehen nachzuschauen, ob Miles wieder über etwas geifert. Dass er die Gelegenheit nicht nutzt, mein Missgeschick

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