Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzer Purpur

Schwarzer Purpur

Titel: Schwarzer Purpur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wahl
Vom Netzwerk:
auf der Hand, dass man ihr kaum ausweichen konnte.
    »Wie du siehst, kann unser Aufenthalt durchaus interessant werden«, unterbrach Jonathan meine Gedanken. »Auf die alte Sophia Abernathy bin ich unheimlich gespannt. Ich kenne nur ein einziges Zeitungsfoto von ihr. Für das Fernsehen war der Fall nicht spektakulär genug. Hier, ich habe eine Kopie machen lassen, weil ich sie so faszinierend finde.« Er reichte mir die unscharfe Schwarz-Weiß-Kopie eines Fotos. Die alte Dame, die darauf zu erkennen war, fixierte ihr Gegenüber mit den gleichen finster zusammengezogenen Rabenflügelbrauen wie ihr Enkel. Das gleiche klassisch geschnittene Gesicht. Die Familienähnlichkeit war nicht zu übersehen, obwohl sie ihre grau melierten Haare in einer Art Pagenkopffrisur trug. Sie wirkte, als wollte sie dem Betrachter ihren altmodischen Stockschirm in die Brust rammen wie ein Schwert. Offenbar hatte sie sich durch den Fotografen belästigt gefühlt.
    »Verstehst du, wieso ich einen ungewöhnlichen Aufenthalt erwarte?« Zufrieden räkelte er sich auf seinem Sitz.
    »Warum hast du so lange gewartet, mir das alles zu erzählen?«, fragte ich anklagend.
    »Weil ich mich nur ungenau erinnerte, dass es um Dark Mark einmal Gerüchte gegeben hatte, und ich dich nicht unnötig beunruhigen wollte. Erst gestern Abend hat mein Informant mir Genaueres mitteilen können«, rechtfertigte Jonathan sich etwas beleidigt.
    »Aber diesen Spitznamen hat er doch wegen seiner Züchtungen, oder?« Jetzt wollte ich alles ganz genau wissen.
    Jonathan nickte. »Den hat ihm eine Jungreporterin verliehen, die er abblitzen ließ. Schon vier Jahre später war er der Liebling der Gartenarchitekten und der Star sämtlicher Flower Shows zwischen London und Glasgow. Die Damen waren alle ganz wild auf Dark Mark: Unter seinen Verehrerinnen gab es wahrscheinlich nicht nur Trophäenjägerinnen, die es auf ein besonderes Exemplar für ihre … Sammlung abgesehen hatten – aber er schien, so oder anders, nicht interessiert zu sein. Vielleicht musstest du mit deiner komischen Art kommen, um ihn zu erobern.« Er lächelte mir entschuldigend zu und sagte nachdenklich: »Ihr passt irgendwie gut zusammen.«
    Als wir aus dem Zug ausstiegen, betrachtete ich, Jonathans Informationen im Hinterkopf, Mark mit anderen Augen als bisher. Er stand etwas abseits am Ende des Bahnsteigs und wirkte so abweisend, dass alle Passanten einen großen Bogen um ihn schlugen. Ich ließ die Lenkstange des Kofferkulis los, auf den der hilfsbereite Schaffner unser Gepäck gestapelt hatte, und winkte heftig mit dem Ende meines roten Schals. Marks Augen fingen das Signal auf – und im gleichen Moment ging ein solches Leuchten über sein Gesicht, dass er um Jahre jünger schien.
    Ohne den Blick voneinander zu lösen, bewegten wir uns zielsicher aufeinander zu. Es war ein Wunder, dass ich niemanden überrollte. Vielleicht war das auch Jonathans Verdienst, der neben mir herlief und immerzu rief: »Achtung, defekte Bremsen!«
    Mark stoppte das überladene Gefährt mühelos mit einer Hand und riss mich in seine Arme, als wären wir monatelang getrennt gewesen. Das Gesicht an seine Brust gepresst, bekam ich kaum noch Luft, aber ich umschlang ihn trotzdem so fest ich konnte. Genoss seinen Duft, der sich mit dem dezenten Waschmittelgeruch seines Hemdes vermischte. Die Umarmung lockerte sich, und eine heisere Männerstimme flüsterte: »Schau mich an!«
    Ich hob den Kopf – und verlor mich in einem Paar dunkler Augen, die schwarzen Pupillen von einem silbernen Ring gerahmt. Dann senkten sich die dunklen Wimpern, und Mark sagte mit um Normalität bemühter Stimme: »Willkommen in Somerset. – Danke, dass Sie mitgekommen sind, Dunnet.« Er übernahm die schwierige Navigation unseres schwerfälligen Gepäckwagens und führte uns zu einem betagten Geländewagen.
    Jonathan musterte das Auto misstrauisch. »Sind Sie sicher, dass er nicht plötzlich auseinander fällt?«, fragte er argwöhnisch.
    Mark lachte. »Seien Sie nicht so undankbar! Ich habe extra diesen genommen, damit sie sich nicht auf den Notsitz quetschen müssen.« Damit schwang er Jonathans umfangreiche Koffer ohne sichtbare Anstrengung auf die hintere Ladefläche. Ich sah den guten Jonathan zusammenzucken, als das empfindliche Wildleder über die nur oberflächlich gesäuberte Plastikwanne schlitterte, aber er sagte keinen Ton, sondern kletterte eilig auf den Rücksitz. Mark führte mich zur Beifahrertür und nutzte die Gelegenheit, mir einen

Weitere Kostenlose Bücher