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Schwarzer Purpur

Schwarzer Purpur

Titel: Schwarzer Purpur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wahl
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Kuss ins Genick zu hauchen, während er mir die Tür öffnete.
    Nach Blackthorn Hall waren es noch gut zwei Stunden Fahrt. Jonathan stöhnte zuweilen theatralisch auf und behauptete, am nächsten Tag sicher von blauen Flecken übersät zu sein, aber ich ignorierte seine Klagen so gut wie möglich und genoss die Zeit. Die Gegend wies einige der bedeutendsten Gartenanlagen Südenglands auf, und Mark kannte sie alle: Hestercombe Gardens, Barrington Court, Montacute House. »Aber ich mag East Lambrook Manor am meisten. Margery Fish hat meine Großmutter oft um Rat gefragt bei ihrer Suche nach alten Gartensorten, und in ihren Gärten wachsen noch einige der alten Abernathy-Züchtungen. Von Zeit zu Zeit – wenn gerade keine Touristensaison ist – gehe ich hin und schau mir einfach ihre Pflanzensammlungen an und versuche mir vorzustellen, was sie in ihnen gesehen hat, was sie ihr bedeutet haben nach dem Tod ihres Mannes«, erzählte Mark und steuerte konzentriert an einer Gruppe Fahrradtouristen vorbei. »Für manche Menschen scheinen Pflanzen eine Art Ersatz für menschliche Nähe sein zu können – in unterschiedlicher Ausprägung natürlich.«
    Damit trifft er genau ins Schwarze, dachte ich. Zumindest, was mich betrifft. Bei Jonathan war ich mir nicht so sicher. Er war mehr am praktischen Gebrauchswert seiner Kräuter und anderen Pflanzen interessiert. Aber meine Orchideen hatten für mich tatsächlich den Stellenwert von geliebten Wesen eingenommen, denen ich eine Art Individualität und Empfinden zugesprochen hatte. Dass sie mir seit der Begegnung mit Mark nicht fehlten, hätte mich beunruhigen müssen. Stattdessen schob ich sie in den Hintergrund meiner Gedanken. Aber das hatte ich eigentlich schon seit längerem getan. Seit dem Tag, an dem ich sie in Alfons Gewächshaus gestellt hatte, waren sie mir nahezu unmerklich immer unwichtiger geworden. Nicht, dass ich sie vernachlässigt hätte, aber ihre Versorgung, die Beschäftigung mit ihnen wurde eine Art Routine. Es war nicht mehr der Höhepunkt meines Tages, sondern ein Teil, den ich ohne größeres Bedauern anderen überlassen hatte. Und bei unserem letzten Gespräch hatte ich Monika nicht einmal nach ihnen gefragt! Mark Abernathy hatte sie mühelos verdrängt. Wenn ich jetzt meine Gedanken schweifen ließ, tauchte unweigerlich ein bestimmtes Gesicht auf – keine Blume.
    »Wie lange muss ich mich noch durchschütteln lassen?«, beklagte sich Jonathan vom Rücksitz. »Gut, dass ich kein Gebiss habe – das wäre inzwischen locker. Ihr solltet eure Straßen etwas besser in Schuss halten hier draußen.«
    »Gleich sind wir da«, tröstete Mark ihn in dem Tonfall, den Erwachsene quengelnden Kindern gegenüber anschlagen. »Da vorne geht schon die Zufahrt ab.«
    Blackthorn Hall lag am Ende einer von Schlehenhecken gesäumten Zufahrt und schien mir so perfekt, dass ich unbewusst den Atem anhielt, weil ich erwartete, es würde sich jeden Moment auflösen wie eine 3-D-Simulation. Der goldfarbene Hamhill-Stein, aus dem es gebaut war, leuchtete in der Nachmittagssonne, und der Schiefer auf dem Dach schimmerte grünlich. Es war kein großes Haus, aber wunderbar proportioniert. Vom Kiesrondell mit einem Seerosenbecken führte eine kleine Freitreppe zu der zweiflügeligen Haustür. Glaseinsätze mit Schlehenzweigen im Tiffany-Stil nahmen die Gestaltung der Zufahrt wieder auf. Eine üppig blühende, leuchtend rote Kletterrose umrankte den Türrahmen.
    Kaum war der Wagen auf dem knirschenden Kies ausgerollt, als sich auch schon die Tür öffnete und Sophia Abernathy erschien, auf einen altmodischen Krückstock gestützt. Der war auch das einzig Altmodische an ihr: Sie musste um die achtzig sein, aber in ihren Jeans, dem ausgefransten Flanellhemd und den lehmverkrusteten Turnschuhen hätte man sie von hinten für eine ungestüme junge Frau halten können. Von vorne erinnerte sie mich allerdings eher an einen alten, ehrwürdigen Wildrosenstrauch: wild und ein wenig unordentlich, die älteren Zweige mit Flechten überwuchert, in der Blüte jedoch von geradezu majestätischer Schönheit.
    »Na, das wurde aber auch langsam Zeit«, begrüßte sie uns ungnädig. »Ich habe schon vor einer Ewigkeit mit euch gerechnet! Hat es einen Unfall auf der Autobahn gegeben, oder was war los?«
    Ich hörte den durchgeschüttelten Jonathan hinter mir entrüstet aufkeuchen, sah Marks süffisantes Grinsen und wusste die Antwort, bevor er gleichmütig erwiderte: »Nein, ich bin mit ihnen die lange

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