Schwarzer Purpur
Strecke über Land gefahren, damit sie einen Eindruck von der Gegend bekommen. – Darf ich dir Verena Naumann und Jonathan Dunnet vorstellen? – Verena, Dunnet: meine Großmutter, Sophia Abernathy.«
Ihre kleine Hand griff fest zu: »Willkommen auf Blackthorn Hall. Mark erzählte mir, Sie seien Spezialistin für Orchideen. Sie müssen nachher unbedingt einen Blick auf den Strunk werfen, den ich zu meinem letzten Geburtstag von einem wohlmeinenden Idioten bekommen habe. Bin gespannt auf ihr Urteil. – Mr. Dunnet, unsere Köchin Rosie hofft, sie werden ihr die Spezialmischung verraten, mit der sie im Fernsehen immer diese schöne Kruste hinbekommen. Und ich hoffe es auch, denn ich habe glasierte Ochsenbrust mehr als satt!« Damit drehte sie sich um, ohne uns Zeit für eine Erwiderung zu lassen, winkte uns herrisch, ihr zu folgen, und stapfte die anmutig geschwungene Holztreppe ins Obergeschoss voraus.
Ich griff eilig nach meiner Reisetasche und folgte ihr, sicherheitshalber ohne mich umzuschauen, denn ich war mir nicht sicher, ob ich angesichts Jonathans ungewohnter Sprachlosigkeit ernst bleiben konnte.
»Hier ist Ihr Zimmer, meine Liebe.« Sie stieß eine hell gebeizte Türe in ein sonnendurchflutetes Zimmer auf. Die zartgrünen Musselinvorhänge vor den Sprossenfenstern bauschten sich in der leichten Brise. Auf den gewachsten Holzdielen lag ein chinesischer Wollteppich mit Rosenmuster. Es roch ein wenig nach Möbelpolitur, Lavendel und den dunkelroten Rosenblüten in der kleinen Porzellanschale auf dem Nachttisch. Das altmodische Bett mit dem hohen Kopfteil, die weiße Leinenbettwäsche, der Kirschholzsekretär mit dem zierlichen Hepplewithe-Stuhl – alles wirkte, als sei die Bewohnerin vor hundert Jahren unerwartet weggerufen worden und würde jeden Augenblick zurückkehren. »Gefällt es Ihnen?«, fragte Sophia Abernathy nicht unfreundlich.
Ich nickte, sprachlos vor Begeisterung.
»Gut. – Marks Zimmer ist gleich nebenan, Mr. Dunnet hat das Zimmer dort hinten und hier, gleich gegenüber, ist das Badezimmer. Dinner gibt es um sechs Uhr, unten im Speisezimmer. Bis später.« Fast brüsk drehte sie sich auf dem Absatz um, und Sekunden später hörte ich das Tock-Tock ihres Stocks auf den Treppenstufen.
Ich schaute aus einem der beiden Fenster meines Zimmers und bewunderte die Aussicht auf einen kleinen Naturteich voller Seerosen, als lautes Gepolter Mark, Jonathan und unser Gepäck ankündigte.
»Was haben Sie in Ihren Koffern, Dunnet? Ein paar Eisenpfannen? Ihre Kochbibliothek? Oder bloß das Nötigste?«, keuchte Mark und setzte die auffälligen Stücke vor Jonathans Zimmer ab. »Sie brauchen ja wohl keine Hilfe beim Auspacken?« Entschieden schob er Jonathan und seine beiden Koffer in den Raum und schloss die Tür.
»Puh«, er wandte sich zu mir um und lächelte. »Ich bin gleich bei dir.«
Mein Herz begann wie verrückt zu klopfen, als er den Koffer abstellte, die Tür hinter sich schloss und sich mit dem Rücken dagegenlehnte, um mich in aller Seelenruhe von Kopf bis Fuß zu betrachten.
»Ich hatte noch gar keine Gelegenheit, deinen neuen Stil zu bewundern. Sehr schick. Dunnet hat ein gutes Auge – nicht nur für Essbares, das muss man ihm lassen. Aber am besten gefällst du mir in dem roten Kleid …« Seine Augen blitzten, während er langsam auf mich zukam, die Arme ausgebreitet. Ich warf mich hinein, ungeduldig darauf bedacht, ihm möglichst nah zu sein. Wir standen eine ganze Weile einfach so eng umschlungen, ohne uns zu rühren. Sein kräftiger Herzschlag unter meinem Ohr, die feinen, dunklen Haare auf seinen Unterarmen, das raue Leder seines Gürtels, sein Atem in meinem Haar – ich sog jedes Detail in mich auf.
»Ich muss leider noch in die Gärtnerei«, flüsterte er, das Kinn auf meinen Scheitel gestützt.
»Nimm mich doch mit«, schlug ich ebenso leise vor.
»Nein, lieber nicht.« Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Du würdest mich nur ablenken, und ich muss ein paar wichtige Entscheidungen treffen. Ein anderes Mal. Außerdem erwartet Großmutter sicher, dass du auspackst, dich frisch machst und danach in aller Ruhe mit ihr Tee trinkst.«
»Davon hat sie nichts gesagt.« Faszination hin, Faszination her, mit der Ehrfurcht gebietenden Sophia Abernathy alleine Tee zu trinken und Konversation zu treiben war nichts, auf das ich besonders versessen war.
»Sie wird dich schon nicht beißen«, versprach Mark und zog meine Hände an seine Lippen. Die altmodische Geste löste
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