Schwarzer Purpur
erstaunliche Gefühle in meinem Inneren aus. Elektrische Entladungen liefen entlang der Nervenbahnen unter der Haut meine Arme hoch und das Rückgrat hinunter, um sich in meinem Bauch zu sammeln und einen dicken Knoten zu bilden. Mit einem heiseren »Bis später« ließ Mark meine Hände sinken, drückte sie noch einmal und wandte sich zum Gehen. Ich sah ihm nach und bewunderte die lässige Eleganz, mit der er die Treppenstufen hinunterlief.
Energisch machte ich mich dann daran, den Inhalt meiner Reisetasche und des Koffers in den kleinen Kiefernholzschrank neben der Tür zu räumen. Dabei lenkte mich der große Spiegel im Innenteil eines Türflügels ab. Was mochte Sophia Abernathy über die auffällig modisch gekleidete junge Frau denken, die ich dort sah? In dieser Aufmachung wirkte ich so viel selbstsicherer, als ich mich fühlte, dass ich meinem Spiegelbild die Zunge herausstreckte, um ihm zu zeigen, dass ich mich von ihm nicht beeindrucken ließ.
Sollte ich mich umziehen? An der engen Jeans, die ich für die Bahnfahrt angezogen hatte, war nichts auszusetzen. Aber vielleicht fand Sophia Abernathy das hautenge Orchideen-Top, das den Brustansatz frei ließ, doch etwas zu aufreizend. Und ich wollte Marks Großmutter gegenüber nicht den Eindruck erwecken, jemand zu sein, den sie als »lockeren Vogel« bezeichnen würde.
Unentschlossen inspizierte ich die Neuerwerbungen und entschied mich schließlich für eine schlichte weiße Polobluse. Damit konnte ich nichts falsch machen.
Ich ging über den Gang ins überraschend gut ausgestattete Badezimmer. Offenbar hatten die Abernathys Sinn für modernen Komfort wie die Handtuchwärmer, die ergonomisch geformte Badewanne und die Duschkabine mit den verstellbaren Düsen bewiesen. Ich hatte das Gefühl, gut hundert Jahre übersprungen zu haben, nur indem ich von einem Zimmer ins andere wechselte.
Die Seife duftete zart nach Freesien, die dunkelgrünen Frotteehandtücher waren so dick und flauschig, wie es nur die teuren fertig bringen. Ich gab meiner Neugier nach und öffnete den Spiegelschrank über dem Waschbecken. Wie bei Mutter und mir teilten die beiden ungleichen Bewohner sich offenbar die Ablagen zur Hälfte: Mark die beiden oberen, Sophia die beiden unteren.
Marks Rasierzeug nahm auf seinen Ablageflächen den größten Raum ein, daneben eine Schachtel Aspirin, Zahnseide, Pflaster und Jodsalbe. Ich verbot mir, die Flasche Aftershave herauszuholen und daran zu schnuppern.
Sophia schien eine treue Anhängerin von Naturkosmetik zu sein: Die weißen, handbeschrifteten Tiegel trugen alle Aufschriften wie Lindenblütensalbe, Rosencreme, Hamamelisauszug. Dekorative Kosmetik schien sie nicht zu benutzen. Ich stellte meinen schlichten Kulturbeutel auf eine freie Ablage, wusch die Hände, puderte die leicht glänzende Nase nach und bürstete meine Haare.
Und was nun? Sollte ich forsch nach unten gehen? Warten, bis man mich rief?
Zurück in meinem Zimmer versuchte ich mich nervös damit zu beschäftigen, dass ich alles noch einmal umräumte, was ich vorhin hastig in die Schrankfächer gelegt hatte. Das Klopfen an der Tür ließ mich erschreckt zusammenfahren. Sophia Abernathy musste schleichen können wie eine Katze. Ich hatte weder Schritte noch das Knarren von Holzdielen gehört. »Mrs. Abernathy erwartet Sie zum Tee, Miss!«
Die leise, leicht verwaschen klingende Stimme kannte ich noch nicht. Ich öffnete die Tür – und stand überrascht einer Walküre gegenüber, zu der die kleine Stimme überhaupt nicht passen wollte. Verblüfft über ihre Ähnlichkeit mit einem Perückenstrauch, starrte ich sie sprachlos an – sogar ihre um den Kopf stehenden auberginefarben gefärbten Haare glichen den feinfaserigen Blütenständen des robusten Gehölzes.
»Sie sind also die junge Dame, wegen der so ein Theater war!« Mein Gegenüber schniefte leicht und schien zu meinen, dass ich die ganze Aufregung nicht wert gewesen wäre. »Ich soll Sie bitten, Mrs. A. auf der hinteren Terrasse Gesellschaft zu leisten«, wiederholte sie, drehte sich um und erklärte mit einem Blick auf das reich bestückte Teetablett in ihren Händen: »Das ist für Mr. Dunnet. Mrs. A. meint, er möchte sicher lieber auf seinem Zimmer bleiben.«
Das würde Jonathan vermutlich nicht, aber der Befehl war klar.
»Ich bin Rosie, die Köchin«, warf sie mir über die Schulter zu. »Ich soll Ihnen den Weg zeigen.« Der unfreundliche Tonfall wunderte mich. Ihr Benehmen hätte Mutter schlicht als unverschämt
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