Schwarzer Regen
Digitaluhr am Armaturenbrett, gab Gas und fuhr in halsbrecherischem Tempo zum Hauptbahnhof.
Der Parkplatz an der Kirchenallee war fast leer. Nur ein paar Taxis standen in der Warteschlange. Lennard stellte den Wagen ab. Sie sprangen aus dem Auto und rannten in die Wandelhalle über den Gleisen.
Um diese Zeit waren nur wenige Menschen unterwegs. Die Läden und Bäckereien hatten noch geschlossen. Am anderen Ende des Bahnhofs, auf Gleis 14, stand abfahrbereit ein ICE.
»Los, komm!«, rief Lennard und sprintete los. Eva folgte ihm, so schnell sie konnte. Als sie die Treppe zum Bahnsteig hinunterhasteten, sah er aus den Augenwinkeln, wie sie stolperte. Blitzschnell wandte er sich um und fing sie auf.
Der Schaffner war gerade im Begriff, das Signal zur Abfahrt zu geben, als er sich zu ihnen umdrehte. Er warf |315| ihnen einen entnervten Blick zu. Dann gab er dem Zugführer ein Zeichen. Lennard und Eva sprangen in den Zug, kurz bevor sich die Türen mit einem Zischen schlossen.
Während der Zug anrollte, sah Lennard ihren Verfolger. Er war oben an der Treppe stehen geblieben und telefonierte. Er trug eine Baseballmütze und hatte den Kopf herabgebeugt, so dass man sein Gesicht nicht erkennen konnte.
»Ist das der Kerl, der uns verfolgt hat?«, fragte Eva.
»Ja. Kennst du ihn?«
»Ich weiß nicht. Ich glaube nicht.«
Sie suchten sich ein leeres Abteil in der ersten Klasse. Lennard warf einen Blick in das Faltblatt, das auf einem der Sitze lag. »Wir steigen in Lüneburg aus«, entschied er.
»Warum gerade dort?«
»Es ist der übernächste Halt. Der nächste ist Harburg, aber das ist mir zu nah. Wenn ich unser Verfolger wäre, würde ich mich in den Wagen setzen und zum Harburger Bahnhof fahren. Wenn er schnell ist, erwischt er uns dort, bevor wir den Bahnhof verlassen haben. Der nächste logische Halt wäre Hannover. Von dort fahren eine Menge Anschlusszüge in alle Richtungen. Also würde ich an ihrer Stelle einen Mann dort auf dem Bahnsteig postieren, um uns abzufangen.«
»An ihrer Stelle? Du meinst, es sind mehrere?«
»Du weißt besser als ich, welche Möglichkeiten dein Mann hat. Aber dass du so schnell aufgespürt wurdest, deutet auf eine professionelle Organisation hin.«
Eva nickte. Sie nahm ihm das Faltblatt aus der Hand. »Der Zug hält auch in Uelzen und Celle. Warum steigen wir nicht da aus?«
»Je eher wir aus diesem Zug raus sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir ihnen durch die Maschen schlüpfen.«
|316| Sie warf ihm einen anerkennenden Blick zu. »Ich merke, du weißt, wie man Verfolgern entkommt.«
Lennard musste grinsen. »Eigentlich bin normalerweise ich es, der Leute verfolgt. Daher weiß ich, wie Verfolger denken.« Er wurde wieder ernst. »Aber ich fürchte, wer immer hinter uns her ist, ist kein Anfänger. Und er scheint sehr entschlossen, dich zu finden.«
Er musterte Evas blasses Gesicht, das trotz der Sorgenfalten immer noch betörend schön war. »Was ist eigentlich los? Was weißt du, das du nicht wissen darfst?«
Ihre smaragdgrünen Augen wichen seinem Blick nicht aus. »Musst du das wirklich wissen?«
»Ja.«
Sie erzählte ihm, was sie kurz zuvor Pawlow erzählt hatte. Er hörte schweigend zu, bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, dass er die Geschichte kannte.
»Das klingt ziemlich unglaublich«, sagte er, nachdem sie geendet hatte. »Traust du deinem Mann wirklich zu, dass er am Tod von hunderttausend Menschen schuld ist?«
»Du kennst ihn nicht. Auf den ersten Blick ist Heiner ein freundlicher, gutmütiger Mensch. Doch wenn er seinen Willen durchsetzen will, ist er absolut gnadenlos. Sein Vater war Richter und hat ihn sehr streng erzogen. Er wurde oft verprügelt. Daher kommt es wohl, dass er … dass er gewisse sadistische Neigungen hat.«
»Warum hast du ihn dann geheiratet?«
»Ich konnte nicht anders. Als ich ihn kennenlernte, war ich zunächst von seinem Charme geblendet. Er war großzügig, humorvoll, hatte Geschmack. Meine Modelkarriere stand damals unter keinem guten Stern, und ich genoss seine Aufmerksamkeit und seine Komplimente. Eines Abends ließ ich mich von ihm in seine Villa mitnehmen. Er … er fesselte mich und …« Sie wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. »Entschuldige. Als es vorbei war, wollte ich |317| nichts mehr mit ihm zu tun haben. Doch er ließ mich nicht in Ruhe. Als ich mich ihm verweigerte, kaufte er kurzerhand die Agentur, bei der ich unter Vertrag war. Ich begriff, dass ich ihm nicht mehr entfliehen
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