Schwarzer Regen
Ghettoblaster ein. Er runzelt die Stirn, dreht an einem Knopf. Ein junges Mädchen mit schwarzen Haaren, die von knallroten Strähnen durchzogen sind, sagt etwas. Der Stoppelkopf nickt und legt eine CD in den Player. Lennard kann den wummernden Bass durchs geschlossene Fenster hören.
Eine der Frauen vom Spielplatz steht auf und nähert sich den Jugendlichen. Sie sagt etwas. Der Stoppelkopf hebt entschuldigend die Hand und dreht die Musik leiser. Das Wummern verschwindet aus Lennards Ohren.
Er sieht sich um und erschrickt. Immer mehr Menschen erscheinen an ihren Fenstern oder auf den Balkonen und sehen sich um. Einige reden von Balkon zu Balkon miteinander. So etwas hat es hier noch nie gegeben.
|116| Lennard geht ins Schlafzimmer, um den Radiowecker einzuschalten. Die Digitalanzeige ist schwarz. Er drückt probehalber auf den Lichtschalter, ohne Effekt. Das also ist die Erklärung für das Verhalten der Leute – ein simpler Stromausfall. Die Menschen wollen nur herausfinden, ob auch die Nachbarn betroffen sind, was offensichtlich der Fall ist. Lennard erlaubt sich ein Lächeln. Eine kleine technische Störung ist in der Lage, die Menschen dazu zu bringen, miteinander zu reden.
Vielleicht ist das ein Zeichen. Lennard hält nicht viel von Esoterik und Schicksalsglauben, und er ist alles andere als religiös. Trotzdem erscheint ihm das Ereignis wie ein gutes Omen. Er beschließt, an dem Gemeinschaftserlebnis teilzuhaben, wie belanglos die Gespräche auch immer sein mögen.
Er tritt im selben Moment vor die Tür wie sein Nachbar, Norbert Schulze. Der ist Anfang fünfzig, mit einer albernen, dunkel gefärbten Dauerwelle, von der er wohl glaubt, sie ließe ihn jünger aussehen. Er muss Vertreter oder so was sein, jedenfalls ist er viel unterwegs. Warum er heute Nachmittag zu Hause ist, erschließt sich Lennard nicht.
»Stromausfall«, sagt Schulze.
Lennard nickt. »Scheint den ganzen Block zu betreffen.«
»Ich würde ja die Hausverwaltung anrufen, aber das Telefon geht auch nicht.«
Lennard holt sein Handy aus der Tasche – es ist immer eingeschaltet, für den Fall, dass sein Chef ihn kurzfristig braucht. »Kein Netz« steht auf der Digitalanzeige. Merkwürdig.
»Hab ich auch schon probiert. Kein Netz. Ich bin bei E-Plus. Und Sie?«
»Vodafone.«
»Die Sendeanlagen müssen auch ohne Strom sein. Sieht so aus, als wäre das ganze Viertel betroffen. Vielleicht sogar die ganze Stadt.«
|117| Ein Schauer läuft über Lennards Rücken. Er weiß nicht, warum, aber plötzlich hat er ein ungutes Gefühl.
Die Tür gegenüber von Schulzes Wohnung öffnet sich, und ein junger Türke namens Kamil Gülaz tritt in Unterhemd und Trainingshose heraus. »Wissen Sie, was los ist?«, fragt er in akzentfreiem Deutsch.
»Stromausfall«, sagt Schulze. »Anscheinend was Größeres.«
»Ach so. Danke.« Der Türke schließt die Tür hinter sich.
»Kommen Sie, ich hab ein batteriebetriebenes Radio«, sagt Schulze. »Vielleicht sagen sie was durch.«
Lennard nickt. Er war noch nie in Schulzes Wohnung. Sie ist ordentlich, wirkt jedoch etwas steril, wie ein Hotelzimmer. Billige Kunstdrucke schmücken die Wände, doch nirgendwo stehen Fotos oder kitschige Reiseandenken herum. Noch ein Mensch ohne Privatleben. Er ist Lennards Nachbar und hat genau dasselbe Problem, und Lennard hat es nicht mal gemerkt, obwohl er doch immer glaubte, die Menschen hier zu kennen. Er beginnt, sich zu fragen, ob seine heimlichen Beobachtungen ihm tatsächlich Einblick in das wahre Leben um ihn herum gewähren.
Schulze holt einen kleinen Reise-Radiowecker aus einem schwarzen Trolley, der anscheinend schon für die nächste Reise fertig gepackt ist. Er schaltet das Radio ein und dreht am Regler für die Frequenz, doch es kommt nur Rauschen. »Scheint so, als hätte es auch den Funkturm erwischt.«
Endlich gelingt es ihm, einen Sender zu finden. Es rauscht ziemlich, aber die Worte des Sprechers sind deutlich zu verstehen: »… offenbar das gesamte Bundesgebiet sowie das angrenzende Ausland von den Stromausfällen betroffen. Die Ursache ist zurzeit noch unklar. Wir melden uns, sobald wir mehr wissen. Und jetzt unser Schlagertipp der Woche: George Daniels mit ›Mein Vitamin heißt Carolin‹ …«
|118| 21.
Der Dicke stockt. Er starrt auf die Nebelkammer, die plötzlich hell aufglüht wie ein Computerbildschirm, jedoch nur ein heftiges Brodeln zeigt. Gleichzeitig scheint es im Raum irgendwie heller zu werden, ohne dass Faller sagen könnte, woher das
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