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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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suchen. Das Metall ist viel zu heiß, um es anzufassen. Rohlfs zieht sich über den Beckenrand, doch die Hitze des Feuers überall um ihn herum ist mörderisch. Ihm wird klar, dass er jetzt tot wäre, wenn er den Sprung in den Pool nicht gemacht hätte.
    Die Hitze treibt ihn zurück ins Wasser, das von Ruß, Staub und Trümmerteilen in eine schwarze ölige Brühe verwandelt worden ist. Er taucht unter, nimmt sich vor, keinen Atemzug mehr zu machen. Doch der Wille seines Körpers, am Leben zu bleiben, ist stärker als die Verzweiflung.

|125| 24.
    Ein Blitz zuckt, doch er verschwindet nicht sofort wieder, wie es Blitze normalerweise tun. Lisa stolpert zurück, schreit auf und hält die Hände vor die Augen.
    »Lisa! Was …« Leon spürt Hitze in seinem Rücken. Eine Stichflamme vom Grill?
    Lisa sackt in die Knie und nimmt die Hände herunter. »Ich kann nichts mehr sehen!«, ruft sie. »O Gott, ich kann nichts mehr sehen!« Ihr Gesicht sieht schrecklich aus. Es ist knallrot und voller Blasen. Hinter sich hört er die anderen schreien.
    Leon dreht sich um und starrt auf das unmögliche Gebilde, das über dem Zentrum der Stadt emporwächst: eine gigantische leuchtende Wolke, die rasch höher steigt und sich dabei ausbreitet. Sie schillert in allen Farben, auf eine atemberaubende, schreckliche Weise schön. Für eine Sekunde vergisst Leon, wo er ist, blendet die Schreie der anderen aus, hat nur Augen für dieses pilzförmige Gebilde.
    Dann begreift er endlich, was er sieht. Gerade noch rechtzeitig wirft er sich auf das Flachdach, in den Schutz eines niedrigen Aufbaus, in dem technische Anlagen untergebracht sind.
    Ein Donner ertönt, als stürze der Himmel ein. Im selben Moment bricht ein schrecklicher Sturm los. Mit aufgerissenen Augen sieht Leon, wie seine Freunde, der Grill, die tragbare Stereoanlage, die Bierkisten, Antennen und alles, was nicht fest genug auf dem Dach verankert ist, fortgerissen werden. Er hat das Gefühl, dass die Druckwelle das Gebäude selbst aus dem Fundament reißen und durch die |126| Luft schleudern könnte. Er schreit, doch über das Tosen hört er nichts.
    Dann wird es plötzlich still. Er rappelt sich auf und sieht sich um. Das Dach ist vollkommen leer. Nichts ist mehr übrig von der fröhlichen Party, die hier noch vor ein paar Sekunden stattgefunden hat. Keine Spur von Lisa.
    Wie betäubt wankt er zum Rand des Dachs und blickt hinab. Unter ihm erstreckt sich eine einzige schwarze Wolke aus Rauch und Staub. Das Hochhaus ragt daraus empor wie ein einsamer Felsen in einem Meer des Todes.
    Er sieht auf. Die Pilzwolke beherrscht jetzt den ganzen Himmel. Immer noch glüht sie, wenngleich nicht mehr so stark. Ihre Ränder breiten sich aus und beginnen, die Stadt mit einem schwarzen Schirm zu überdecken.
    Karlsruhe ist ein Meer aus Rauch und Feuer. Leon hat Mühe, sich zu orientieren. Kaum eines der bekannten Gebäude ist in dem Chaos auszumachen. Nicht weit entfernt glaubt er die schmale Linie der Bahngleise zu erkennen. Flammen schlagen aus dem Dach des Hauptbahnhofs. Dahinter erstreckt sich ein schwarzes Trümmerfeld, in dem Tausende Feuer lodern. Er fühlt sich an das tote Land Mordor aus »Der Herr der Ringe« erinnert.
    Ein heftiger Windstoß fährt ihm in den Rücken, reißt ihn zu Boden. Die von der Druckwelle verdrängte Luft kehrt zurück. Er rappelt sich erneut auf und blickt an sich herab. Seine Kleidung ist versengt und zerrissen. Seine Hände sehen merkwürdig aus, so als trage er zerfetzte Gummihandschuhe. Es dauert einen Moment, bis er begreift, dass die Fetzen Teile seiner eigenen Haut sind.
    Erst jetzt kommen die Schmerzen.

|127| 25.
    Kenichi Tanaka weiß sofort, was geschehen ist, als er das grelle Leuchten über sich wahrnimmt. Es ist, als seien von einem Moment auf den anderen fast siebzig Jahre ungeschehen gemacht worden, als sei er wieder der kleine Junge, der draußen am Fuß der Mauer neben dem kleinen Schuppen spielt, bevor in Hiroshima die Hölle losbricht.
    Die Bilder, die er sieht, vermischen sich mit seinen Erinnerungen, die sich unauslöschlich in seine Seele gebrannt haben wie zwei sich überlagernde Spiegelungen. Der chinesische Taxifahrer, der geblendet die Hände vor die Augen hält. Tanakas Mutter, die den Korb mit der Wäsche fallen lässt und sich verwundert umdreht. Die Druckwelle, die den Chinesen und sein Auto davonschleudert. Das Haus seiner Eltern, das zertrümmert wird, als hätte es eine Riesenfaust getroffen. Die herumwirbelnden Splitter. Die

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