Schwarzer Regen
verfinstert zusammen mit der radioaktiven Staubwolke den Himmel.
|135| 30.
Als Ben zu sich kam, war es draußen stockdunkel. Nur das flackernde Licht eines Feuers in der Nähe erhellte den von Schutt und Trümmern übersäten Raum. Offenbar war er mehrere Stunden bewusstlos gewesen. Warum war keine Feuerwehr da? Wo blieben die Krankenwagen? Seine Armbanduhr zeigte drei Minuten nach fünf. Der Sekundenzeiger bewegte sich nicht mehr.
Seine Lungen schmerzten, aber er konnte wieder atmen. Er hustete Staub, dann rappelte er sich auf. Wie durch ein Wunder schien er nur ein paar Kratzer von herumfliegenden Glasscherben abbekommen zu haben. In seinen Ohren war ein Pfeifen, über das er undeutliche Rufe hörte: »… o Gott … bitte, hilf mir …«
Es war Gerd. Er lag immer noch eingeklemmt unter einem großen Stück Ziegelmauer. Er streckte die Hände aus. »Bitte, Ben … bitte, hilf mir …«
Ben wankte zu ihm, vorbei an Willi, der mit leblosen, aufgerissenen Augen auf dem Rücken lag. Auch die anderen schienen tot zu sein. Hannes lag reglos auf dem Bauch in einer riesigen Blutlache. Martins Schädel war von einem großen Steinblock zermalmt worden. Ben war der Einzige, der die Explosion halbwegs unversehrt überlebt hatte.
Er versuchte, das Stück Ziegelmauer anzuheben, doch seine Kraft reichte bei weitem nicht. Gerd schluchzte. »Ich will nicht sterben«, rief er immer wieder. »Ich will nicht sterben!«
»Ich hole Hilfe!«, versprach Ben. Die Metalltür des Raums war stark verbogen und ließ sich wahrscheinlich auch mit dem Schlüssel nicht mehr öffnen, doch an der |136| Stelle, wo vorhin noch ein vergittertes Fenster gewesen war, klaffte jetzt ein riesiges Loch in der Außenwand des Gebäudes.
Er kletterte durch die Trümmer hinaus auf die Straße, mitten in einen Alptraum. Hitze wie in einem Backofen empfing ihn. Der Himmel war schwarz bis auf den schwachen Widerschein des Feuers an den dichten Wolken. Bisher hatte er nicht weiter über die Ursache der Explosion nachgedacht, nur angenommen, sie beträfe allein das Polizeihauptquartier. Doch die ganze Straße war ein Meer aus Trümmern und Flammen. Brennende Autowracks lagen ineinander verkeilt, viele davon auf der Seite oder auf dem Dach, manche in drei oder vier Schichten übereinander. Direkt vor ihm ragte ein verkohlter Arm aus einem zerquetschten Wagen.
Er blickte auf. Die Fassade des altehrwürdigen Backsteingebäudes, in dem sich das Polizeihauptquartier befand, war an vielen Stellen eingerissen. Die Fenster waren nur noch schwarze Höhlen. Aus dem Dachstuhl leckten Flammen, wie auch bei den übrigen Gebäuden. Soweit Ben sehen konnte, war keine einzige Fensterscheibe heil geblieben. Die Fassaden einiger Gebäude waren eingedrückt, als habe ein Riese mit der Keule dagegen geschlagen. An einem Wohnhaus war die Front eingestürzt, so dass man in den oberen Etagen in Wohnzimmer, Bäder und Küchen blicken konnte wie in ein makaberes Puppenhaus.
Zwischen den brennenden Autowracks bewegte sich jemand. Ben sah nur den Umriss einer Gestalt, der sich dunkel gegen die Flammen abzeichnete.
Er hob den Arm. »Hilfe!«, rief er. »Ich brauche Hilfe! Mein Freund ist schwerverletzt!«
Die Gestalt schien ihn nicht zu hören. Ben bahnte sich einen Weg durch die Flammen auf sie zu. Etwa drei Meter entfernt blieb er stehen.
|137| Was er sah, war unmöglich – eine alberne Phantasie aus einem Hollywoodfilm. Das Wesen vor ihm hatte keine Haare, keine Nase, nur schwarze Löcher anstelle von Augen und Mund. Lange Fetzen hingen an ihm herab. Zuerst hielt Ben sie für Kleider, doch dann begriff er, dass das Wesen völlig nackt war. Es war seine Haut, die ihm in Streifen vom Körper hing.
Der Mann wankte auf Ben zu. Unmöglich, dass er noch lebte, dass er sich bewegen konnte, und doch geschah es. In einer schrecklichen, anrührenden Geste streckte er eine Hand aus, dann brach er zusammen.
Ben wandte sich ab und übergab sich auf die Straße.
Immer noch konnte er nirgendwo Rettungskräfte entdecken. Nicht mal Martinshörner oder Sirenen waren zu hören. Offenbar waren sie noch nicht bis hierher vorgedrungen.
Was war geschehen? Ein Flugzeugabsturz? Die Explosion einer Gasleitung? Ein Terroranschlag? Ben konnte sich keine Ursache für eine derartige Zerstörung vorstellen.
Was sollte er tun? Gerd brauchte Hilfe, und zwar schnell. Vielleicht glaubten die Retter, dass in der Nähe des Polizeihauptquartiers niemand überlebt hatte. Irgendwie musste er zu ihnen
Weitere Kostenlose Bücher