Schwarzer Regen
später wird die Außenwand eingedrückt. Steine und Schutt regnen herab, und eine Staubwolke nimmt ihm die Sicht. Eine tonnenschwere Last presst die Luft aus seinen Lungen. Fast augenblicklich lässt der Druck nach, doch als Ben die Lungen wieder mit Luft füllen will, ist keine mehr da.
Er starrt Willi an, der von seinem Stuhl gekippt ist. Seine Augen treten ihm aus den Höhlen, so dass er aussieht wie eine groteske Comicfigur. Sein ganzer Körper ist mit Glassplittern gespickt. Er hat den Mund aufgerissen, doch Ben hört keinen Schrei, nur ein dumpfes Rauschen in den Ohren. Neben Willi liegt Gerd auf dem Rücken, beide Hände vors Gesicht gepresst. Ein großes Stück Wand hat ihn halb unter sich begraben. Martin und Hannes sind in einer Wolke von Staub verborgen.
Bens Lungen schmerzen. Verzweifelt ringt er nach Sauerstoff. Doch statt kühler Luft scheint es nur noch heißes, mit Staub angereichertes Gas zu geben.
Bunte Lichter beginnen vor seinen Augen zu tanzen. »Mama«, will er rufen wie ein kleines Kind, doch er bringt keinen Ton heraus. Dann wird es schwarz um ihn.
|132| 28.
Der Himmel wird grellweiß, als habe Gott ein Flutlicht eingeschaltet. Dann explodiert das Karlsruher Schloss.
Der zentrale Turm löst sich buchstäblich in seine Bestandteile auf. Riesige Trümmer fliegen in alle Richtungen. Julia sieht einen gewaltigen Steinbrocken auf sie zu herabstürzen. Bevor sie etwas tun oder sagen kann, bekommt sie einen mächtigen Stoß und wird fortgeschleudert. Die Luft ist irgendwie zähflüssig geworden und weigert sich, in ihre Lungen zu dringen. Sie hat das Gefühl, sich in dieser seltsamen, kochend heißen Flüssigkeit aufzulösen. Der Ansatz eines Gefühls formt sich in ihr: Bedauern über den sinnlosen Streit mit Lothar. Die Zeit reicht nicht mehr, um den Gedanken zu vollenden.
|133| 29.
Kathrin Münster steht etwa fünfzig Meter von dem grauen Lieferwagen entfernt, dessen Kennzeichen sie kurz zuvor erfasst hat, als der nukleare Sprengsatz in seinem Inneren explodiert. Sie spürt nichts – ihre Nerven sind viel zu langsam, um die Empfindungen ihrer Haut bis zum Gehirn zu leiten, bevor dieses zerplatzt und verdampft.
Zum Zeitpunkt der Zündung der nuklearen Kettenreaktion entsteht im Inneren der Bombe ein winziger Glutball, dessen Temperatur in Mikrosekunden auf über hundert Millionen Grad ansteigt – das Fünfzehntausendfache der Oberflächentemperatur der Sonne. Die Kernspaltung erzeugt energiereiche Gammastrahlung, die fast alle Materialien durchdringt, sowie einen elektromagnetischen Impuls, der im weiten Umkreis sämtliche elektronischen Schaltungen zerstört.
Der Feuerball breitet sich rasch aus und verdampft alles in einem Umkreis von etwa hundert Metern. Nur ein gewaltiger Krater bleibt zurück. Die überhitzten Gase dehnen sich aus und erzeugen eine Druckwelle, die vom Boden reflektiert wird und Hunderttausende Tonnen Staub, Trümmer und radioaktives Material in den Himmel reißt.
Immer noch ist die Temperatur im Inneren dieser Wolke so hoch, dass alles darin augenblicklich verglüht und dabei ein blendend helles Licht erzeugt. Gleichzeitig breitet sich die Druckwelle mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit aus und zermalmt alles, was ihr im Weg ist. Massive Steinhäuser werden umgeworfen. Ein Sturm aus Steintrümmern, Dachziegeln und halb geschmolzenem Glas fegt durch die Straßen.
|134| Da die Explosion unmittelbar am Boden stattgefunden hat, wird der größte Teil der Energie in den Himmel abgestrahlt. Dennoch ist die Gewalt des atomaren Feuers so stark, dass ihr im Umkreis von einigen hundert Metern praktisch nichts widersteht. Erst allmählich bricht sich die Welle an den solide konstruierten Häusern, wird zurückgeworfen, sucht sich Kanäle und tobt mit umso größerer Gewalt durch die Straßenschluchten. Sie reißt Fensterscheiben, Schilder, Blumenkübel, Autos und Menschen mit sich.
Gleichzeitig setzt die unsichtbare Hitzestrahlung der noch mehrere hunderttausend Grad heißen Glutwolke alles ungeschützte brennbare Material im Umkreis von zwei Kilometern in Flammen. Die Kleidung der Menschen in den Straßen nahe dem Epizentrum fängt Feuer, bevor die Hitze die Flüssigkeit in ihren Körpern kocht. Tankstellen explodieren, Gartenzäune, Terrassenmöbel und Dachstühle gehen in Flammen auf. Die Brände greifen rasch auf die wenigen Gebäude über, die bisher verschont geblieben sind. Ein Feuersturm fegt durch den Stadtwald nördlich des Schlosses.
Der Rauch der Feuer
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