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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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menschliche Hilferufe auszumachen waren. Er stolperte weiter – es gab nichts, was er hätte tun können.
    Der schwarze Regen wurde kräftiger. Die Tropfen prasselten jetzt so dicht, dass die Flammen an vielen Stellen niedriger wurden und schließlich ganz erstarben. Die Wege füllten sich mit klebrigem Schlamm.
    Er hörte ein Stöhnen und fuhr herum. Ein schwarzer Arm griff nach ihm, berührte sein Bein. Angeekelt machte Ben einen Schritt zur Seite, bevor ihm klar wurde, dass die dunkle Gestalt, die da neben dem Weg lag, ein sterbender Mensch war. Die Gesichtszüge waren kaum zu erkennen, aber Ben vermutete, dass es sich um einen jungen Mann handelte. Der Mann röchelte etwas.
    Ben beugte sich über ihn.
    »… mich. Bitte.«
    »Wie bitte? Ich kann Sie nicht verstehen«, sagte Ben.
    Der Mann hustete. Dunkle Flüssigkeit quoll aus seinem Mund. »Bitte … töte … mich.«
    Erschrocken richtete sich Ben auf. Er sah, dass die Kleidung des Mannes an seinem Leib verbrannt war. Er musste entsetzliche Schmerzen haben.
    Erneut röchelte der Mann. Die Worte waren unverständlich, aber ihr Sinn klar.
    Verzweifelt sah Ben sich um. Was sollte er bloß tun? Er konnte doch den Mann nicht einfach umbringen! »Hilfe!«, rief er. »Hilfe!« Doch weit und breit war niemand zu sehen.
    In diesem Moment begann die Wahrheit in seinem Kopf |141| hochzuquellen wie eine stinkende Gasblase aus einem morastigen Tümpel. Wenn er stundenlang bewusstlos gewesen war und immer noch keine Rettungskräfte hier waren, dann musste die Katastrophe noch viel furchtbarer sein, als er angenommen hatte. Dann war möglicherweise nicht nur Karlsruhe betroffen, sondern ganz Deutschland, vielleicht sogar die ganze Welt. Das bedeutete, es würde keine Hilfe kommen.
    Vielleicht war ein Krieg ausgebrochen. Er erinnerte sich, dass in den Nachrichten von einer Abkühlung der Beziehungen zwischen Russland und den USA die Rede gewesen war.
    »Bitte … töte …«
    Nicht weit entfernt lag ein verkohlter abgebrochener Ast, so dick wie Bens Unterarm. Ein paar kräftige Schläge damit würden ausreichen, den Schädel des verbrannten Mannes zu zertrümmern und ihn von seiner Qual zu erlösen. Er hob den Ast auf, ließ ihn jedoch sofort wieder fallen. Er konnte das nicht.
    »Es tut mir leid«, sagte er und wandte sich ab.
    Der Mann blieb stumm.
    Ben wollte weinen, doch statt Tränen rannen nur dicke schwarze Tropfen über sein Gesicht.
    Ein dumpfes Knattern ließ ihn hochblicken. Von Süden näherte sich ein helles Licht am Himmel. Ein Hubschrauber! Offenbar vom Militär. Er flog dicht über den Trümmern dahin. Der Wind der Rotoren fachte die Glut an und ließ Flammen auflodern, die vom Regen schon fast erstickt gewesen waren.
    Er winkte, doch der Helikopter flog über ihn hinweg und verschwand in den Rauchschwaden, die von den brennenden Häusern aufstiegen.
    Ben stolperte weiter. Er kam an einem flachen Haus vorbei, aus dem das Kreischen von Tieren zu hören war. |142| Gerade, als er sich abwenden wollte, sah er eine kleine Gestalt aus der offenstehenden Tür des Gebäudes kommen. Ein Kind!
    Ben wusste nicht, wie er weiteres Grauen ertragen sollte, doch er ging auf das Kind zu. Es war ein kleiner Junge, vielleicht fünf oder sechs Jahre alt. Seine Kleidung und sein Gesicht waren rußverschmiert, aber er schien weitgehend unverletzt. Mit aufgerissenen Augen starrte er Ben an. »Bitte … tu mir nichts …«
    Ben wurde klar, dass er selbst nicht viel besser aussehen konnte als die monströsen Körper, die in dem Zoo herumlagen. Seine Haut und Kleidung waren von dem schwarzen Regen durchtränkt, als habe er in Erdöl gebadet.
    Er hob die Hände und versuchte zu lächeln. »Hab keine Angst!«
    Der Junge blieb, wo er war. »Wo ist Mama?«
    Ben kniete sich hin, so dass er mit dem Kind auf Augenhöhe sprechen konnte. »Ich weiß es nicht. Aber wenn du willst, können wir sie zusammen suchen.«
    Der Junge nickte. Zögernd machte er einen Schritt vor und streckte seine Hand aus.
    Ben ergriff sie. »Ich bin Ben.«
    »Ich heiße Niklas Färber«, sagte der Junge. »Ich wohne in der Fliederstraße 15.«
    »Vielleicht ist deine Mami schon nach Hause gegangen«, sagte Ben, der vermutete, dass sie unter den vielen Toten in der Nähe war.
    »Sind wir in der Hölle?«, fragte Niklas, als sie ihren Weg zwischen verkohlten Leichen, zertrümmerten Käfigen und umgestürzten Bäumen fortsetzten.
    Ja, vielleicht, dachte Ben. Viel schlimmer kann es dort jedenfalls nicht sein. Laut sagte

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