Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
Vom Netzwerk:
gelangen.
    Es war schwierig, sich zu orientieren. Kaum etwas erinnerte mehr an das Karlsruhe, das er kannte. Nach einem Moment glaubte er dennoch, grob die Himmelsrichtungen einschätzen zu können. Im Norden schienen die Verwüstungen noch schlimmer zu sein als in seiner unmittelbaren Nähe. Die Straße war in dieser Richtung von einem riesigen brennenden Schrotthaufen blockiert. Auch im Süden erschien ein Vorwärtskommen auf der Beiertheimer Allee schwierig, doch auf der anderen Straßenseite begann nicht weit entfernt der Stadtgarten, der den Zoo beherbergte. Dort gab es auch mehrere kleine Seen.
    |138| Auch der gesamte Park stand in Flammen. Dennoch erschien es Ben leichter, sich einen Weg durch die brennenden Bäume und Büsche zu suchen, als zwischen glühenden Autowracks herumzuklettern.
    Als er sich der Grenze des Parks näherte, erkannte er, dass sämtliche Bäume umgeknickt waren, als sei ein gewaltiger Tornado über sie hinweggefegt. Der Anblick erinnerte ihn an Bilder der Tunguska-Katastrophe, wo vor hundert Jahren ein großer Asteroid über der sibirischen Wildnis in der Atmosphäre explodiert war und mehrere Millionen Bäume umgeknickt hatte. War ein ähnliches Ereignis der Grund für diese Katastrophe? Es würde zumindest erklären, weshalb keine Einsatzkräfte zu sehen waren.
    Die Hitze wurde unerträglich. Er hatte schrecklichen Durst, und sein ganzer Körper schmerzte. Im Stadtgarten gab es einen See, an dessen Ufern er früher oft mit seiner Mutter und seinem Stiefvater entlangspaziert war.
    Er hatte vorgehabt, ins Wasser zu springen, um sich abzukühlen und sich mit nasser Kleidung besser gegen das Feuer zu schützen. Doch als er den See schließlich erreichte, schreckte er zurück.
    Hunderte Gegenstände trieben in der schwarzen Brühe. Zuerst hielt Ben sie für abgerissene Äste, doch dann begriff er, dass es Leichen waren – Menschen, die versucht hatten, sich im See vor den Flammen zu retten. Der Park musste an diesem sonnigen Juninachmittag gut besucht gewesen sein.
    Ben wandte sich erschüttert ab. Lieber würde er verbrennen, als sich freiwillig in diesen Totensee zu legen.
    Er folgte den Spazierwegen Richtung Süden. Überall lagen zwischen lodernden Baumstämmen und Büschen verkohlte Körper herum. Neben dem Weg lag umgestürzt ein brennender Kinderwagen. Die Leiche eines Babys lag wie ein pechschwarzer Brotlaib daneben.
    |139| Bens Kopf war leer. Er konnte das Grauen, das er sah, unmöglich verarbeiten. Er wusste nicht mehr, warum er hier herumstolperte. Es erschien ihm widersinnig, geradezu pervers, noch am Leben zu sein. Was immer nach dem Tod kam, es konnte nicht schlimmer sein als das hier. Er fühlte sich bleischwer, und das Vorwärtskommen wurde mit jedem Schritt schwieriger, so als griffen die Toten mit unsichtbaren Händen nach ihm und versuchten, ihn festzuhalten. Schließlich knickten seine Beine ein, und er brach mitten auf einer freien Fläche, die einmal eine Wiese gewesen war, zusammen. Er konnte nicht mehr weiter.
    Es begann zu regnen. Dicke Tropfen fielen vom Himmel. Sie schmerzten, wenn sie mit schmatzendem Geräusch seine Haut trafen, doch sie brachten auch angenehme Kühle. Er reckte das Gesicht in den Himmel, öffnete den Mund und nahm die kühle Feuchtigkeit gierig auf.
    Der Regen schmeckte seltsam, doch er gab ihm neue Kraft. Ben formte mit den Händen eine Schale, um mehr von dem kostbaren Nass aufzufangen, und erschrak. Die Tropfen waren nicht klar, sondern pechschwarz, beinahe so zäh und klebrig wie Öl – wahrscheinlich vom Ruß der Feuer verschmutzt.
    Angeekelt spuckte Ben aus, doch er hatte bereits eine beträchtliche Menge der schwarzen Flüssigkeit geschluckt. Egal, es war nicht mehr zu ändern. Er rappelte sich auf und stolperte weiter.
    Leichen lagen vor Käfigen voll toter Tiere. Unter einem umgestürzten Baum sah er einen Elefanten mit zerschmettertem Schädel. Nicht weit entfernt lehnte der brennende Körper einer Giraffe an einer Hauswand, als sei er einem Bild von Dali entsprungen. Die ganze Szenerie war so surreal wie die Visionen des exzentrischen Künstlers.
    Nicht alle Tiere waren getötet worden. Robben tauchten |140| zwischen toten Menschen, die sich mit brennender Kleidung in ihr Becken gestürzt haben mussten. Ein Eisbär mit angesengtem Fell fraß an einer Leiche, die er halb aus dem Wasser gezerrt hatte. Aus einigen Tierhäusern mit brennenden Dächern klangen verzweifelte Schreie. Ben war sich nicht sicher, ob dazwischen auch

Weitere Kostenlose Bücher